Nach neuem EuGH-Urteil: Wie geht es weiter im deutschen Beschäftigtendatenschutz?

Für alle Personalverantwortlichen gibt es spannende Neuigkeiten aus dem Bereich Beschäftigtendatenschutz: Aufgrund einer Entscheidung des EuGH (Urteil vom 30. März 2023, C 34/21) könnte § 26 BDSG, die zentrale deutsche Norm zur Verarbeitung von Beschäftigtendaten, möglicherweise nicht mehr anwendbar sein. Wir erläutern den Kontext der Entscheidung und zeigen auf, weshalb das Urteil für Unternehmen dennoch kein Grund zur Panik ist.

Die Entscheidung des EUGH

Der EuGH hat in seinem Urteil festgestellt, dass die Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz in § 23 des Hessischen Datenschutzgesetzes (HDSG) nicht mit der DSGVO vereinbar sind. Diese Entscheidung stützt das Gericht darauf, dass § 23 HDSG im Wesentlichen eine bloße Wiederholung der Bestimmungen der DSGVO sei. Mitgliedsstaaten können eigene Vorschriften zum Beschäftigtendatenschutz nur unter der Bedingung erlassen, dass es sich um spezifischere Vorschriften zur Gewährleistung des Schutzes der Rechte und Freiheiten hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext handelt. Gerade das sei bei einer bloßen Wiederholung der allgemeinen Vorschriften zur Verarbeitung personenbezogener Daten aber nicht der Fall.

Da die Regelung des HDSG nahezu wortgleich mit § 26 BDSG ist, lassen sich die Wertungen der Entscheidung des EuGH auf die Verarbeitung von Beschäftigtendaten durch Unternehmen auf Grundlage des § 26 BDSG übertragen. Das liegt insbesondere für § 26 Abs. 1 BDSG durchaus nahe – eine Auswirkung auf den gesamten § 26 BDSG scheint möglich, aber nicht zwingend.

Kurz und knapp: Was heißt das für Unternehmen?

Für deutsche Unternehmen stellt § 26 BDSG die zentrale Rechtsgrundlage für die Verarbeitung von Beschäftigtendaten dar, sodass durch das Urteil eine gewisse Rechtsunsicherheit entsteht. Allerdings ist auch bei einem Wegfall dieser Rechtsgrundlage davon auszugehen, dass jeweils ein alternativer Erlaubnistatbestand für im Beschäftigungskontext übliche Verarbeitungen identifiziert werden kann (z.B. Vertragsdurchführung, Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen oder berechtigtes Interesse), sodass die Verarbeitungen im Regelfall nicht einzustellen sind. Daher dürften vor allem die derzeit noch verwendeten Datenschutzinformationen sowie Verarbeitungsverzeichnisse mit Blick auf die dort genannten Rechtsgrundlagen zu aktualisieren sein.

Einzelne Datenschutzbehörden empfehlen zudem bereits, zukünftig verstärkt auf Betriebsvereinbarungen zu setzen. Dabei ist besonders wichtig, dass sie die von der DSGVO geforderten speziellen Garantien zur Wahrung der menschlichen Würde, der berechtigten Interessen und der Grundrechte der betroffenen Person enthalten. Die Bedeutung dieser Pflichtinhalte hat der EuGH in seiner Entscheidung betont – anderenfalls droht ihnen womöglich das gleiche Schicksal wie dem § 26 Abs. 1 BDSG. Dabei ist zu beachten, dass Betriebsvereinbarungen vor allem in einer konkretisierenden Funktion zur Schaffung von Rechtssicherheit beitragen können. Zur Schaffung völlig neuer Rechtsgrundlagen sind sie eher nicht geeignet (wenngleich einzelne Arbeitsgerichte das durchaus anders sehen).

Gerne unterstützen wir Sie bei Fragen zur Auswirkung der EuGH-Entscheidung auf Ihr Unternehmen und bei eventuell notwendigen Schritten zur Anpassung bestehender datenschutzrechtlicher Dokumente.




Neues zur Arbeitszeiterfassung – Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes

Seit dem 18. April 2022 liegt nun der lang erwartete (Referenten-)Entwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und zur Regelung der Arbeitszeiterfassung vor („RefE-ArbZG“). Damit reagiert das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) unmittelbar auch auf den zuletzt kritisch diskutierten Beschluss des BAG vom 13. September 2022 (Az. 1 ABR 22/21), in welchem es aus § 3 Abs. 2 Arbeitsschutzgesetz mittels einer unionsrechtskonformen Auslegung eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung hergeleitet hatte.

Leider enttäuscht der RefE-ArbZG alle zuvor verbreiteten Forderungen und Hoffnungen auf eine Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes und darauf aufbauend eine flexible Handhabung der Arbeitszeiterfassung. Stattdessen sieht der Referentenentwurf eine weitgehend starre Verpflichtung zur täglichen und ausschließlich elektronischen Erfassung des Beginns, des Endes und der Dauer der täglichen Arbeitszeit vor.

Zudem finden sich auch noch Widersprüche. So sollen „Führungskräfte, herausgehobene Experten und Wissenschaftler“ zwar nach der Begründung von den starren Regelungen zur Arbeitszeiterfassung befreit sein, der Entwurf sieht eine solche Möglichkeit zur Befreiung jedoch nur über eine Regelung der Tarifpartner vor. Selbst wenn man außen vor lässt, dass eine Ausnahme ausschließlich für Regelungen der Tarifparteien sachlich kaum begründbar ist, wird eine flexible Regelung so gerade für hochbezahlte Führungskräfte und sämtliche Branchen, in denen es keine Tarifverträge gibt, faktisch ausgeschlossen. Die Ausnahmeregelung, auf die spätestens seit September 2022 alle warten, ist daher praktisch weitgehend untauglich.

Der Entwurf lässt sich daher eher als politisches Signal des BMAS im Sinne eines Bekenntnisses zu Tarifbindung und betrieblicher Mitbestimmung einordnen denn als ernsthafter Versuch, die selbst formulierten Ziele einer Flexibilisieung gesetzlich zu regeln. Es ist davon auszugehen, dass der Referentenentwurf lediglich ein Entwurf bleiben und nun konkreter Ausgangspunkt für Diskussionen um eine umfassende Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes sein wird.

Zu den einzelnen Regelungen:

1. UMFASSENDE PFLICHT ZUR ARBEITSZEITERFASSUNG

Die grundlegende Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ergibt sich aus dem folgenden § 16 Abs. 2 RefE-ArbZG:

„(2) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen. Er hat ein Verzeichnis der Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 7 Absatz 7 eingewilligt haben. Der Arbeitgeber hat die Arbeitszeitnachweise nach Satz 1 und 2 mindestens zwei Jahre aufzubewahren.“

Danach sind im Ausgangspunkt ausnahmslos der Beginn, das Ende und die Dauer der täglichen Arbeitszeit durch den Arbeitgeber elektronisch aufzuzeichnen. Eine analoge Aufzeichnung ist danach grundsätzlich (vorbehaltlich der im Folgenden dargestellten Ausnahmen) unzulässig. Eine bestimmte Art der elektronischen Aufzeichnung wird nicht vorgeschrieben. Nach der Begründungen des RefE-ArbZG kämen z.B. elektronische Anwendungen wie Apps auf einem Mobiltelefon oder die Nutzung herkömmlicher Tabellenkalkulationsprogramme (Excel) in Betracht. Womöglich aus Gründen der Vereinfachung soll auch eine sogenannte „kollektive Arbeitszeiterfassung“ durch die Nutzung und Auswertung elektronischer Schichtpläne möglich sein, sofern sich aus diesen der Beginn, das Ende und die Dauer der täglichen Arbeitszeit einzelner Arbeitnehmer ergebe und etwaige Abweichungen (z.B. Fehlzeiten und zusätzliche Arbeitszeiten) gesondert elektronisch erfasst werden. Am Ende wäre danach weiterhin eine individuelle Erfassung notwendig, da nahezu ausgeschlossen ist, das Schichtpläne minutengenau die tatsächliche Arbeitszeit widerspiegeln.

Diese elektronische Zeiterfassung muss zudem am Tag der Arbeitsleistung erfolgen. Die danach täglich erstellten Arbeitszeitnachweise sind zudem zwei [...]

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DSGVO-Auskunftsanspruch: 10.000 Euro Schadensersatz für verspätete Auskunft

Der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch gem. Art. 15 Abs. 1 DSGVO beschäftigt weiterhin Arbeitgeber und Gerichte, insbesondere im Arbeitsverhältnis lauern zahlreiche Fallstricke. Diese ergeben sich nicht nur aus komplexen juristischen Fragestellungen, etwa zum Umfang des Auskunftsanspruchs und des Rechts auf Kopie gem. Art. 15 Abs. 3 DSGVO. Oftmals stellt bereits der praktische Umgang mit Auskunftsanfragen von Beschäftigten Unternehmen vor Herausforderungen.

Dass es sich lohnt, eine gut aufgestellte Datenschutzorganisation zu haben, zeigt ein aktuelles Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 09. Februar 2023 (3 Ca 150/21). Der Kläger verlangte von seiner (ehemaligen) Arbeitgeberin unter anderem Auskunft nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO sowie eine Kopie der Daten gemäß Art. 15 Abs. 3 DSGVO. Das Unternehmen verweigerte die Auskunftserteilung. Erst im Gerichtsverfahren legte es einzelne Unterlagen vor – 20 Monate nach dem Auskunftsbegehren. Das Gericht hat dem Kläger allein aufgrund dieser verspätet erteilten Auskunft einen Schadensersatz von 10.000 Euro zugesprochen.

DER DATENSCHUTZRECHTLICHE AUSKUNFTSANSPRUCH

Der Auskunftsanspruch gem. Art. 15 Abs. 1 DSGVO und das Recht auf Kopie nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO bestehen neben dem Einsichtsrecht in die Personalakte gem. § 83 Abs. 1 BetrVG. In der Praxis wird der DSGVO-Anspruch vielfach zur Erhöhung des „Lästigkeitswertes“ im Konfliktfall genutzt, um auf diese Weise Verhandlungsmasse zu gewinnen und um ggf. an zusätzliche Informationen und Unterlagen für einen (späteren) Rechtsstreit zu gelangen.

Für den Auskunftsanspruch gelten klare Fristen: Grundsätzlich ist die Auskunft unverzüglich, in jedem Fall aber innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags zu beantworten (in Ausnahmefällen kann diese Frist um weitere zwei Monate verlängert werden). Die inhaltlich korrekte Erfüllung des Anspruchs, insbesondere des Anspruchs auf Kopie, ist allerdings komplex, wie auch eine Vielzahl von Urteilen zeigt.

10.000 EURO SCHADENSERSATZ

Wird der Anspruch nicht ordnungsgemäß erfüllt, kann dies zu einem Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 DSGVO führen sowie ggf. zu einer Geldbuße gem. Art. 83 Abs. 5 lit. b DSGVO.

Wie kam das Arbeitsgericht Oldenburg im vorliegenden Fall zu einer Summe von 10.000 Euro für eine verspätet erteilte Auskunft? Dem Gericht genügt (unter Berufung auf das Bundesarbeitsgericht) zur Begründung des Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz gem. Art. 82 Abs. 1 DSGVO bereits die Verletzung von Vorschriften der DSGVO. Nach Ansicht des Gerichts ist es gerade nicht erforderlich, dass die verletzte Person einen (weiteren) von ihr erlittenen immateriellen Schaden darlegen muss. Dementsprechend führt also bereits die Nichteinhaltung von Vorschriften der DSGVO (hier: der Fristen für die Erfüllung des Auskunftsanspruchs) zu einem Schadensersatzanspruch für die betroffene Person. Das Gericht geht zudem davon aus, dass bei der Berechnung der Höhe des Schadensersatzes Präventionscharakter und Abschreckungswirkung zu berücksichtigen seien: Der Schadensersatz soll weh tun.

Hier war der Auskunftsanspruch 20 Monate zu spät erteilt worden. Für jeden Monat, in dem die Auskunft nicht erteilt wurde, hat das Gericht 500 Euro angesetzt, sodass es auf die Gesamtsumme von 10.000 Euro kommt.

Die vorliegende Entscheidung setzt eine Reihe von Entscheidungen fort, in denen deutsche Arbeitsgerichte allein die Verletzung von Vorschriften der DSGVO als ausreichend erachtet haben, um einen Schadensersatzanspruch des Beschäftigten zu begründen.

Gerade beim Auskunftsanspruch lassen sich viele Fehler mit Hilfe einer robust aufgestellten [...]

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Mobile Arbeit und regionale Feiertage – was gilt?

Die feiertagsträchtigen Monate April, Mai und Juni stehen vor der Tür. Da die meisten Feiertage in Deutschland auf Landesrecht basieren gibt es einige von ihnen auch nur in manchen Bundesländern und in anderen eben nicht. Arbeiten die Mitarbeiter am Betriebssitz, wirft das keine Probleme auf – aber welche Feiertage gelten, wenn die Arbeitnehmer aus dem Home-Office aus einem anderen Bundesland arbeiten oder sogar mobil, also aus unterschiedlichen Bundesländern?

Um es vorwegzunehmen: Obwohl diese Frage in der heutigen Zeit mit immer mehr flexibler Arbeit zwischen dem klassischen Büromodell, vollständiger Remote Arbeit und Wechselmodellen zwischen Home-Office und Büroarbeit weiter an Bedeutung gewinnt, hat die Rechtsprechung diese praxisrelevanten Fragestellungen bislang noch kaum erörtert. In der Literatur hingegen haben sich einige verfestigten Meinungen herausgebildet.

Klar ist, dass die folgenden Möglichkeiten in Betracht kommen: Zur Bestimmung des anwendbaren Feiertagsrechts kann entweder auf den Betriebssitz, auf den regelmäßigen Arbeitsort des Arbeitnehmers, auf den tatsächlichen Arbeitsort des Arbeitnehmers (Tag genau) oder auf den Wohnsitz des Arbeitnehmers abgestellt werden. Dass Anknüpfungspunkt die Tätigkeit und nicht der Wohnsitz ist, hat das BAG immerhin entschieden (BAG, Urteil vom 16.April 2014 –5 AZR 483/12).

Recht einig ist sich die Literatur, dass ein Mitarbeiter, der beispielweise dauerhaft im Home-Office aus Bayern arbeitet, nicht dem Feiertagsrecht aus Hessen unterworfen ist, nur weil dort der Betriebssitz liegt. Für diesen Mitarbeiter gelten die bayrischen Feiertage – übrigens nicht nur mit dem Recht der Arbeitnehmer, an diesen Tagen nicht zu arbeiten, sondern auch mit der grundsätzlichen Pflicht des Arbeitgebers, an diesem Tag die betroffenen Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen.

Etwas weniger eindeutig fällt das Meinungsbild hinsichtlich eines Mitarbeiters aus, der in aller Regel z.B. im Bundesland Hessen tätig wird, wo auch der Betriebssitz liegt, er jedoch zu einem Außentermin in ein anderes Bundesland fährt. In diesen Fällen wird vermehrt davon ausgegangen, dass weiterhin das Feiertagsrecht des regelmäßigen Beschäftigungsortes anwendbar ist (also hier: Hessen). Beachtet werden sollte dabei aber, dass falls in dem anderen Bundesland ein Feiertag besteht, zumindest keine störenden Tätigkeiten wahrgenommen werden sollten – für Bürotätigkeiten in der Regel kein Problem.

Schwieriger wird es, wenn der Mitarbeiter keinen regelmäßigen Beschäftigungsort in einem Bundesland hat, sich also in etwa gleich oft in unterschiedlichen Bundesländern aufhält. Hier wird sowohl vertreten, dass es dann auf den Betriebssitz des Arbeitgebers ankommen soll, als auch, dass Tag genau das Feiertagsrecht des Bundeslandes anwendbar sein soll, in dem sich der Arbeitnehmer zu dem Zeitpunkt aufhält. In der Regel einfacher erscheint es, das Feiertagsrechts des Betriebssitzes anzuwenden.

Fazit
Viele Einzelfragen sind mangels tragfähiger Rechtsprechung noch unklar. Noch etwas komplizierter wird es insbesondere bei grenzüberschreitenden internationalen Sachverhalten. Wichtig ist es, sich mit den Fragestellungen angesichts der vermehrten Beispiele in der Praxis eingehend zu beschäftigen und vor allem unternehmenseinheitlich zu verfahren.




Untreue bei zu hoher Vergütung von Betriebsräten? BGH, Urteil 10.01.2023 – 6 StR 133/22

Der BGH hat am 10. Januar 2023 die erstinstanzlichen Freisprüche vier früherer VW-Manager wegen des Vorwurfs der Untreue aufgehoben. Die schriftliche Urteilsbegründung war mit großer Spannung erwartet worden. Nun ist sie da.

Um es vorwegzunehmen: Das BGH-Urteil hat ganz erhebliche praktische Konsequenzen. Dies liegt vor allem daran, dass der BGH die Risiken für vorsätzliches Handeln stark verschärft. So hatte das LG Braunschweig entschieden, dass die Angeklagten zwar aufgrund vermeintlich zu hoher Vergütungen von Betriebsräten objektiv den Tatbestand der Untreue verwirklicht haben. Allerdings hätten die Angeklagten, so die erste Instanz, ohne Vorsatz gehandelt. Denn die Angeklagten hatten durchaus Risiken gesehen. Bei VW gab es daher eine Kommission und die Manager ließen sich auch umfassend rechtlich beraten. Die rechtliche Beratung kam durchweg zu dem Ergebnis, dass die Vergütungssprünge gerechtfertigt seien. Die Manager hätten daher einem Tatbestandsirrtum unterlegen und unvorsätzlich gehandelt.

Dem wollte der BGH nicht folgen: Bei einem Handeln – wie hier – im „rechtlichen Grenzbereich“ läge eher ein Verbotsirrtum nahe. Dieser sei zudem wohl vermeidbar. Wird wie hier in der arbeitsrechtlichen Literatur kontrovers diskutiert, ob Vergütungserhöhungen für Betriebsräte in vergleichbaren Konstellationen rechtmäßig seien, dürfen sich Manager laut BGH wohl nicht auf Gutachten verlassen, die „rechtlichen Flankenschutz“ gewähren sollen.

Für Unternehmen bedeutet dies: Bestehen rechtliche Unsicherheiten bei Vergütungsentscheidungen, sollten diese zur Vermeidung rechtlicher Risiken im Zweifel unterbleiben. Auch sollten in der Vergangenheit erfolgte Entscheidungen überprüft werden.

Bei der arbeitsrechtlichen Bewertung liegt der BGH grundsätzlich auf Linie mit dem BAG und der überwiegenden Literatur. So entsprach es schon bisher herrschender Auffassung, dass für die Vergütung von Betriebsräten nicht die Betriebsratstätigkeit, wie etwa ein Verhandeln mit Managern und Vorständen „auf Augenhöhe“, als solche herangezogen werden kann. Auch galt schon bisher Zurückhaltung, was die Anerkennung von im Betriebsratsamt erlangten Qualifikationen angeht. Insoweit hat der BGH überraschend für Klarheit gesorgt, sodass nun zumindest im Betriebsratsamt erlangte Qualifikationen berücksichtigt werden dürfen, die einen Bezug zur vor Amtsübernahme ausgeübten Tätigkeit des Betriebsratsmitglieds aufweisen. Beispielhaft sei auf Fälle verwiesen, in denen ein Betriebsratsmitglied, welches vor Amtsübernahme im Rechnungswesen tätig war, durch die Amtstätigkeit vertiefte Bilanzkenntnisse erlangte.

Soweit in der Wirtschaftspresse unmittelbar nach Urteilsverkündung die Auffassung geäußert worden ist, der BGH habe die Rechtsprechung des BAG zu hypothetischen Karrieren verworfen, ist dem nicht zu folgen. Denn der BGH liegt wie erwähnt arbeitsrechtlich auf Linie des BAG. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass hypothetische Karrieren, deren grundsätzliche Zulässigkeit jahrzehntelange gefestigte BAG-Rechtsprechung ist, künftig nicht mehr zulässig sind. Bedauerlicherweise könnten Unternehmen allerdings zu noch größerer Zurückhaltung hinsichtlich hypothetischer Karrieren gezwungen werden, als dies heute schon der Fall ist. Angesichts der Andeutung des BGH, dass kontrovers diskutierte Rechtsfragen einen bedingten Vorsatz begründen können, bestünde ein solches Risiko, wenn die hypothetische Karriere aufgrund der BGH-Entscheidung durch Stimmen in der Literatur künftig ernsthaft in Frage gestellt werden würde. Es bleibt aber zu hoffen, dass sich die Literatur bei der Rezension der BGH-Entscheidung eindeutig pro Zulässigkeit hypothetische Karriere positionieren wird.

Fazit: Wie etwa bei der Arbeitszeiterfassung ist auch hier der Gesetzgeber gefragt und wird sich der Thematik – wie verschiedentlich zu hören ist – auch beizeiten [...]

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Anspruch auf gleichwertiges Entgelt bei gleichwertiger Arbeit

BAG zum Entgeltgleichheitsgebot nach Art. 157 AEUV und § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG – Der zahnlose Tiger bekommt erste Klauen!

Im Jahr 2021 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) erstmals, dass ein aufgrund von §§ 10ff. Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) mitgeteiltes Mediangehalt männlicher Kollegen, das höher liegt als das Gehalt der Auskunft verlangenden Mitarbeiterin, einen Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit gem. Art. 157 AEUV sowie § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG begründen kann (Urteil vom 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19). Es gilt insofern § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), sodass ein solches Mediangehalt die Vermutung einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts begründe, die von Arbeitgeber:innen widerlegt werden müsse (vgl. auch Blogbeitrag vom 10. März 2021: „Die Entscheidung zum Equal Pay Day: Vermutungsregel für Entgeltungerechtigkeit“).

Nun hatte das BAG (PM zu Urteil vom 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21) in einer mit Spannung erwarteten Entscheidung darüber zu befinden, aufgrund welcher Umstände die Vermutung einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung in solchen Fällen widerlegt werden kann.

1. SACHVERHALT

Die Beklagte betreibt ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie mit 180 Mitarbeitern. Zum 1. Januar 2017 stellte sie einen neuen Mitarbeiter im Vertrieb ein und zum 1. März 2017 die Klägerin, ebenfalls als Mitarbeiterin im Vertrieb. Beiden bot sie im Rahmen der Vertragsverhandlungen ein monatliches Grundgehalt von EUR 3.500,00 brutto in der Einarbeitungszeit und ab dem 1. November 2017 eine zusätzliche, erfolgsabhängige Vergütung an. Die Klägerin akzeptierte das Angebot und vereinbarte daneben mit der Beklagten 20 Tage unbezahlte Freistellung pro Jahr. Der männliche Bewerber war mit dem Angebot nicht einverstanden und verlangte für die Dauer der Einarbeitungszeit bis zum 31. Oktober 2017 eine monatliche Grundvergütung in Höhe von EUR 4.500,00 brutto, welche die Beklagte akzeptierte. Nach der Einarbeitungszeit wurde die Grundvergütung des männlichen Kollegen abgesenkt, bevor es aufgrund weiterer vertraglicher Vereinbarungen mit der Beklagten mit Wirkung zum 1. Juli 2018 auf EUR 4.000,00 brutto wieder über das Grundgehalt der Klägerin angehoben wurde (bei gleichzeitiger Reduzierung der möglichen erfolgsabhängigen Vergütung).

Mit Wirkung zum 1. August 2018 trat sodann ein Haustarifvertrag bei der Beklagten in Kraft, der die Überführung der individuellen Entgelte der Beschäftigten in Entgeltgruppen vorsah. Für den Fall, dass das neue tarifliche Grundentgelt höher war als das bisherige Entgelt der jeweiligen Mitarbeiter:innen, war eine gedeckelte Anpassung von nicht mehr als EUR 120,00 vorgesehen. Sowohl die Klägerin als auch ihr männlicher Kollege wurden in dieselbe Entgeltgruppe überführt, die ein Grundgehalt von EUR 4.140,00 brutto vorsah.

Wegen der tarifvertraglichen Deckelung betrug das Grundgehalt der Klägerin ab dem 1. August 2018 EUR 3.620,00 brutto; das ihres männlichen Kollegen EUR 4.120,00 brutto.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin die seit ihrer Einstellung entstandene Entgeltdifferenz zu ihrem männlichen Kollegen geltend, sowie eine angemessene Entschädigung wegen ungerechtfertigter Benachteiligung gem. § 15 AGG.

Die Klägerin sowie ihr männlicher Kollege hatten dieselben Verantwortlichkeiten und Befugnisse.

2. ENTSCHEIDUNG DER VORINSTANZEN

Sowohl die erste als auch die zweite Instanz wiesen die Klage jeweils ab.

Nach Ansicht des LAG Sachsen (Urteil vom 3. September 2021 – 1 Sa 358/19) sprächen die Indizien zwar für [...]

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Keine Entfristung von Arbeitsverhältnissen aufgrund Urlaubsgewährung

Bundesarbeitsgericht (BAG) konkretisiert Anforderungen an Fortsetzungshandlungen im Rahmen des § 15 Abs. 6 TzBfG!

Wird ein Arbeitsverhältnis nach Erreichen des vereinbarten Zwecks oder über die vereinbarte Befristungsdauer mit Wissen des Arbeitgebers fortgesetzt und widerspricht dieser nicht unverzüglich der Weiterarbeit des Arbeitnehmers oder teilt dem Arbeitnehmer die Zweckerreichung nicht unverzüglich mit, entsteht kraft Gesetzes ein unbefristetes Arbeitsverhältnis (§ 15 Abs. 6 TzBfG n.F.; §15 Abs. 5 TzBfG a.F.). Das BAG hatte sich nun mit der Frage auseinander zu setzen, ab wann von einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auszugehen ist und konkret mit der Frage, ob eine Urlaubsgewährung im Anschluss an das Befristungsende hierfür ausreichend ist.

1. SACHVERHALT

Der Kläger war seit dem Jahre 1987 in einem Beamtenverhältnis bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt und seit dem Jahre 1999 als Beamter in diesem Verhältnis beurlaubt. Während der Beurlaubung war er im Rahmen mehrerer befristeter Arbeitsverträge – also als Arbeitnehmer in einem normalen Arbeitsverhältnis – mit unterschiedlichen Aufgaben für die Beklagte tätig. Der zuletzt befristete Arbeitsvertrag lief am 30. September 2020 aus. Vor dem vereinbarten Befristungsende gewährte die Beklagte dem Kläger Resturlaubstage für einen Zeitraum nach Ende der vereinbarten Befristung, beginnend mit dem 1. Oktober 2020. Neue Aufgabe zur Fortsetzung der Zusammenarbeit im Rahmen eines weiteren befristeten Arbeitsverhältnisses gab es für den Kläger nicht. Die Beklagte ging daher davon aus, dass das ruhende Beamtenverhältnis ab dem 1. Oktober 2020 wieder aufgelebt sei. Der Kläger hingegen machte geltend, dass aufgrund der Urlaubsgewährung das Arbeitsverhältnis in Kenntnis der Beklagten fortgesetzt worden und damit gemäß § 15 Abs. 5 TzBfG a.F. ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei.

2. ENTSCHEIDUNG DER VORINSTANZEN

In den ersten beiden Instanzen hatte der Kläger mit seiner Klage keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht Hamburg (Urteil vom 30. Juni 2022 – 3 Sa 19/21) führte zur Begründung seiner Entscheidung unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 18. Oktober 2006 – 7 AZR 749/05) aus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung bewusst und in der Bereitschaft fortsetzen müsse, die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis weiter zu erfüllen. Der Arbeitnehmer habe danach die vertragsgemäßen Dienste nach Ablauf der Vertragslaufzeit tatsächlich auszuführen. Nach Ansicht des LAG reiche – ebenso wie im Anwendungsbereich des § 625 BGB – die bloße Urlaubsgewährung hierfür nicht aus. In Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung erfordere die Rechtsfolge eines auf unbestimmte Zeit verlängerten Arbeitsverhältnisses vielmehr eine tatsächliche Weiterarbeit nach Auslaufen eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages (BT-Drucksache 14/4374, S. 21). An einer solchen Weiterarbeit fehlte es im vorliegenden Fall jedoch.

3. ENTSCHEIDUNG DES BAG UND KONSEQUENZEN

Das BAG hat die Ansicht der Vorinstanzen nun mit Entscheidung vom 9. Februar 2023 (7 AZR 266/22) in der Sache bestätigt und die Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg zurückgewiesen.

Zu dem Urteil liegt keine Pressemitteilung vor. Dennoch lässt sich prognostizieren, dass das BAG mit seiner Entscheidung einen langjährigen Streit in der Literatur im Zusammenhang mit § 15 Abs. 5 TzBfG a.F. (§ 15 Abs. 6 TzBfG n.F.) unternehmensfreundlich entschieden hat. So war in der Literatur bisher umstritten, ob auch die Gewährung von Erholungsurlaub für einen Zeitraum nach Ende einer [...]

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Lohngleichheit bei Teilzeitbeschäftigung

Geringfügige Beschäftigung bedeutet nicht geringfügige Vergütung!

Mit einer aktuellen Entscheidung stärkt das BAG (Urt. v. 18. Januar 2023 – 5 AZR 108/22) die Rechte von Minijobbern und setzt das gesetzliche Benachteiligungsverbot konsequent um. Demnach dürfen geringfügig Beschäftigte nicht weniger verdienen als andere Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte, die gleich qualifiziert sind und die gleiche Tätigkeit ausüben. Die Zuweisung von festen Dienstzeiten stellt nach der jüngsten Entscheidung kein geeignetes Kriterium dar, eine unterschiedliche Vergütung zu rechtfertigen.

1. SACHVERHALT

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall stritten die Parteien um Differenzlohnansprüche des Klägers, der mit der Beklagten durch ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis als Rettungsassistent verbunden war. Die Beklagte praktizierte ein paralleles Arbeitszeitmodell von „hauptamtlich“ angestellten Voll- und Teilzeitbeschäftigen auf der einen Seite und sog. Minijobbern auf der anderen Seite. Der wesentliche Unterschied bestand darin, dass die „nebenamtlichen“ Rettungsassistenten, wie der Kläger, nicht fest zu Diensten eingeteilt wurden, sondern lediglich Anfragen erhielten und selbst über die Annahme des angebotenen Dienstes entscheiden konnten. Darüber hinaus stand ihnen die Möglichkeit zu, Wunschtermine zu äußern. Ein Anspruch auf Zuteilung der Wunschdienste stand ihnen aber nicht zu. Im Gegensatz dazu wurde den „hauptamtlichen“ Rettungsassistenten die Dienste entsprechend des Weisungsrechts gemäß § 106 GewO zugewiesen. Die auszuübende Tätigkeit und die Qualifikation der Beschäftigten aus den unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen waren bei allen Mitarbeitern identisch. Während den „hauptamtlich“ Beschäftigten ein Stundenlohn von 17 Euro brutto zugesprochen wurde, erhielten die „nebenamtlich“ Beschäftigten lediglich eine Vergütung in Höhe von 12 Euro brutto pro Stunde. Der Kläger sah sich durch diese Vergütungsstruktur diskriminiert.

2. ENTSCHEIDUNG

Nach der Entscheidung des BAG stellt die abweichende Stundenvergütung eine Benachteiligung der geringfügig Beschäftigten ohne sachlichen Grund dar und verstößt damit gegen § 4 Abs. 1 TzBfG. Zwar knüpfe die Vergütungsvereinbarung nicht unmittelbar an die Art des Beschäftigungsverhältnisses an. Allerdings sei die unterschiedliche Vergütungsstruktur mittelbar auf die Beschäftigung als sog. Minijobber zurückzuführen und bedeute damit eine mittelbare Benachteiligung.

Nach dem Vortrag der Beklagten bestehe für die „nebenamtlichen“ Rettungsassistenten bei der Einsatzplanung ein erhöhter Planungsaufwand, da diese nicht nach Belieben der Beklagten den Schichten zugewiesen werden können, sondern selbst über die Übernahme von Dienstzeiten entscheiden können. Dieser Begründung folgte auch das Arbeitsgericht in erster Instanz. Sowohl das Berufungs- als auch das Revisionsgericht überzeugte diese Argumentation allerdings nicht. Das BAG bezweifelt bereits, ob die Einsatzplanung für geringfügig Beschäftigten im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern tatsächlich erschwert sein soll. Sie hätten gerade keinen Anspruch auf die Ausübung der Wunschdienste. Ihnen stehe lediglich die Äußerung von Wünschen frei. Ob die Beklagte diesen nachkommt und dementsprechende Angebote unterbreitet, bleibe demgegenüber ihr überlassen. Unabhängig von der angeblichen Planungserleichterung sei jedenfalls auch bei den hauptamtlichen Mitarbeitern eine freie Zuteilung nicht möglich. Für sie müssten beispielsweise gesetzliche Vorgaben zum Arbeitsschutz, wie Ruhepausen und die Dauer der Arbeitszeiten, eingehalten werden.

Maßgeblich für die (fehlende) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung sei vielmehr, dass die Mitarbeiter unabhängig von der Art des Beschäftigungsverhältnisses dieselbe Qualifikation vorweisen und die auszuübende Tätigkeit bei allen identisch ist. Vor diesem Hintergrund sei eine Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt. Die differenzierte Handhabung der Dienstzuteilung sei jedenfalls kein sachlicher Grund im Sinne des § 4 Abs. [...]

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Verjährung von Ansprüchen auf Urlaubsabgeltung

Bundesarbeitsgericht (BAG) konkretisiert Rechtsprechung!

Gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ist Urlaub abzugelten, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann.
Nachdem das BAG am 20. Dezember 2022 (9 AZR 266/20) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH entschieden hatte, dass die Verjährung von Urlaubansprüchen davon abhängt, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zuvor in die Lage versetzt haben, diesen auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen, hatte das BAG nun darüber zu entscheiden ob und inwiefern entsprechende Grundsätze auf Urlaubsabgeltungsansprüche zu übertragen sind.

1. VERJÄHRUNGSBEGINN ERST MIT ZUMUTBARER KLAGEERHEBUNG

In der ersten Entscheidung (PM zu BAG, Urteil vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 456/20) ging es um einen Kläger, der seit 2010 als Ausbildungsleiter in einer Flugschule arbeitete. Dem Arbeitnehmer stand jährlicher Erholungsurlaub im Umfang von 30 Arbeitstagen zu, der ihm allerdings nicht gewährt wurde. Im Oktober 2015 verständigten sich die Arbeitsvertragsparteien darauf, dass der Kläger in der Folgezeit als selbstständiger Dienstnehmer für die Beklagte tätig sein sollte, und beendeten das Arbeitsverhältnis. Mit Klage aus August 2019 verlangte der Kläger sodann Urlaubsabgeltung für die Jahre 2010 bis 2015.

Das LAG Niedersachsen wies die Berufung des Klägers noch zurück. Das BAG hingegen gab der Klage teilweise statt, und zwar für die Jahre 2010 bis 2014; Urlaubsabgeltung für 2015 lehnte der Senat ab. Inhaltlich nahm das BAG zunächst Bezug auf seine Entscheidung vom 20. Dezember 2022, nach der Urlaubsansprüche zwar verjähren können, die dreijährige Verjährungsfrist jedoch erst am Ende des Kalenderjahres zu laufen beginne, in dem Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über ihren konkreten Urlaubsanspruch informieren und sie in Hinblick auf Verfallfristen auffordern, den Urlaub tatsächlich zu nehmen (sog. Mitwirkungsobliegenheit). Sofern Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber dieser Obliegenheit nicht entsprechen, komme weder ein Verfall noch eine Verjährung des Urlaubs in Betracht.

Diese Grundsätze seien – so das BAG – nicht auf den Urlaubsabgeltungsanspruch übertragbar. Vielmehr ändere sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Urlaubsabgeltungsansprüche aufgrund Beendigung des Arbeitsverhältnisses können daher ungeachtet der Einhaltung der Mitwirkungsobliegenheit der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber während des laufenden Arbeitsverhältnisses verjähren. Beginn dieser Verjährungsfrist sei grundsätzlich das Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis ende, ohne dass es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit durch Arbeitgeber:innen ankomme.

Hinsichtlich der Verjährung sei jedoch eine Ausnahme zu machen, solange eine Klageerhebung aufgrund einer gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung betroffenen Arbeitnehmer:innen nicht zumutbar gewesen sei. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass der EuGH erst im Jahre 2018 die obige Mitwirkungsobliegenheit von Arbeitgeber:innen begründet habe und einem automatischen Verfall von Urlaub verneint habe. Arbeitnehmer:innen hätten bis zu dieser Entscheidung davon ausgehen müssen, dass ihre Urlaubsansprüche mit Ende des Jahres oder ggf. eines Übertragungszeitraumes verfallen seien, auch eine Urlaubsabgeltung mithin nicht in Betracht komme. Erst nach Bekanntgabe der Entscheidung des EuGH im November 2018 mussten ausscheidende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer daher tätig werden, um eine Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen zu verhindern.

Der Urlaubsabgeltungsanspruch kann daher auch ohne ordnungsgemäße Unterrichtung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über den drohenden Urlaubsverfall nach Ende des Arbeitsverhältnisses verjähren. Die dreijährige [...]

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Update zum „Stechuhr“-Beschluss des BAG

Nach dem sog. „Stechuhr“-Beschluss des Bundesarbeitsgerichts („BAG“) vom 13. September 2022 (1 ABR 22/21), über welchen wir auf unserem Blog hier berichteten, wurde der volle Entscheidungstext zur bisher lediglich vorliegenden Pressemitteilung des Beschlusses mit Spannung erwartet. In den jetzt vorliegenden Entscheidungsgründen gibt das BAG einige Antworten auf vielgestellte Fragen, bleibt (erwartungsgemäß) allerdings bei detaillierten Ausführungen zum Arbeitszeiterfassungssystem zurückhaltend.

DIE ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

In den Entscheidungsgründen werden ausgiebig alle in Betracht kommenden nationalen und europäischen Rechtsgrundlagen für die Begründung einer nationalen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Mai 2019 (C-55/18) betrachtet. Das BAG sieht allein in § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) eine geeignete Vorschrift, dessen Tatbestand ausreichend Raum für eine unionsrechtskonforme Auslegung dahingehend biete, dass Arbeitgeber zur Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer:innen verpflichtet sind. Solange seitens des Gesetzgebers keine den § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG (oder die Arbeitszeitrichtlinie) konkretisierenden Regelungen getroffen werden, besteht laut BAG ein Spielraum des Arbeitgebers (ggf. gemeinsam mit dem Betriebsrat) bei der Umsetzung eines Arbeitszeiterfassungssystems, in dessen Rahmen u.a. die Form dieses Systems festzulegen ist. Für die Erfüllung der Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit gelten gemäß BAG folgende Voraussetzungen:

  • Das Zurverfügungstellen eines Zeiterfassungssystems reicht nicht aus, es muss auch tatsächlich in Gebrauch genommen werden.
  • Das geforderte System darf sich nicht darauf beschränken, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit (einschließlich der Überstunden) lediglich zu „erheben“. Vielmehr müssen diese Daten auch erfasst und damit aufgezeichnet werden, sodass insbesondere die Lage der täglichen Arbeitszeit überprüfbar ist.
  • Bei der Auswahl eines Systems sind die Besonderheiten des jeweils betroffenen Tätigkeitsbereichs der Arbeitnehmer:innen und die Eigenheiten des Unternehmens – insbesondere seine Größe – zu berücksichtigen.
  • Die Erfassung muss nicht ausnahmslos und zwingend elektronisch erfolgen. Es können beispielweise Aufzeichnungen in Papierform – je nach Tätigkeit und Unternehmen – genügen.
  • Eine Delegation der Aufzeichnung der Arbeitszeit an die Arbeitnehmer:innen ist nach unionsrechtlichen Vorgaben möglich.
  • Bei der Auswahl und näheren Ausgestaltung ist zu beachten, dass die Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer:innen Zielsetzungen darstellen, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.

Danach ist Arbeitszeiterfassung beispielsweise sowohl per App (unter Berücksichtigung von datenschutzrechtlichen Vorgaben auch bei Installation auf dem Privathandy) als auch per Excel-Sheet (digital oder ausgedruckt) möglich. Wird die Zeiterfassung an die Arbeitnehmer:innen delegiert, ist anzunehmen, dass Arbeitgeber dadurch nicht von jeglicher Verantwortung frei werden, sondern zur regelmäßigen Kontrolle der Zeiterfassungserfassung verpflichtet bleiben.

Dem Betriebsrat steht zudem – derzeit und damit vorbehaltlich künftiger gesetzlicher Bestimmungen – für die Ausgestaltung des im Betrieb zu verwendenden Systems (also das „Wie“ der Arbeitszeiterfassung) ein Initiativrecht zu (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG iVm § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG).

AUSNAHMEN VON DER ARBEITSZEITERFASSUNG

Offen bleibt, ob sich die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung nicht auf Arbeitnehmer:innen erstrecken muss, für die der Gesetzgeber (an anderer Stelle) von der Erstreckung der Bestimmung zur Arbeitszeit ausdrücklich abgesehen hat. Der Gesetzgeber sieht in §§ 18 – 21 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) Ausnahmen von der Geltung des Arbeitszeitgesetzes für sog. leitende Angestellte, Chefärzte und weitere Berufsgruppen (z.B. Binnenschiffer; Flugzeugbesatzung) vor (teilweise gelten für [...]

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