Über Geld spricht man – das BAG und die EU setzen neue Maßstäbe

Von am Dezember 12, 2025

Gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht ist nicht nur ein rechtspolitisches Ziel, sondern über §§ 3, 7 EntgTranspG sowie Art. 157 AUEV ein verbindlicher Rechtsanspruch. Lediglich die Umsetzung dieses Anspruchs bereitet in der Praxis regelmäßig Probleme. Im Vergleich zu männlichen Beschäftigten verdienen weibliche Beschäftigte für vergleichbare Arbeit jedenfalls im Durchschnitt noch immer weniger Gehalt.

Prozessual bietet § 22 AGG Beschäftigten sowohl den Vorteil einer erleichterten Darlegungslast als auch einer Beweislastumkehr. Die klagende Partei muss danach lediglich Indizien darlegen und im Streitfall beweisen, die eine Diskriminierung wegen des Geschlechts vermuten lassen. Sodann obliegt es dem Arbeitgeber, diese Vermutung zu widerlegen.

Korrespondierend bietet das Entgelttransparenzgesetz seit 2017 Beschäftigten in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitenden einen individuellen Auskunftsanspruch. Dieser ist auf die Angabe des Medians des Vergleichsentgelts gerichtet. Auf diese Weise können Beschäftigte Informationen über Kriterien zur Entgeltfestsetzung und den Medianverdienst vergleichbarer Kolleginnen und Kollegen eines anderen Geschlechts einfordern. Praktisch ist das Benennen der korrekten Vergleichsgruppe hier aber nicht ganz einfach.

Das Ziel des Gesetzes besteht darin, Entgeltgerechtigkeit und Transparenz zu fördern, indem die Mitarbeitenden erfahren können, ob sie weniger für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit verdienen. Allerdings sieht das EntgTranspG über den Auskunftsanspruch hinaus keine eigenständigen Zahlungsansprüche vor. Insbesondere regelt das Gesetz nicht ausdrücklich die Rechtsfolgen, die Beschäftigte aus den erlangten Informationen herleiten können.

Medianwert als Maßstab

Nach der bisherigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte begründete der Umstand, dass eine Arbeitnehmerin ein geringeres Entgelt als das Medianentgelt der männlichen Vergleichsperson(en) erhält, die (widerlegbare) Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts (BAG v. 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19).

Das Medianentgelt ist der Wert, der genau in der Mitte liegt, wenn alle Zahlen der Reihe der Größe nach sortiert sind – die Hälfte ist kleiner, die andere Hälfte größer. Der Nachteil dieser Vergleichsmethode ist, dass der Medianwert die tatsächliche Entgeltstruktur nur eingeschränkt abbilden kann, da er keine Auskunft über die Spannweite oder Verteilung der Gehälter ergibt. Das führt dazu, dass erhebliche Unterschiede innerhalb einer Vergleichsgruppe hierdurch verdeckt bleiben.

BAG setzt auf Paarvergleich

Mit der Frage, ob diese Vermutungswirkung auch eintritt, wenn die betroffene Arbeitnehmerin sich nicht auf den über den Auskunftsanspruch nach § 10 EntgTranspG erlangten Medianwert bezieht, sondern auf das ihr bekannte Gehalt eines konkreten männlichen Kollegen, musste sich jüngst das Bundesarbeitsgericht befassen.

In dem vom BAG zu entscheidenden Fall hat eine Arbeitnehmerin der mittleren Führungsebene der Daimler Truck AG rückwirkend finanzielle Gleichstellung eingeklagt. Ihr Gehalt unterschritt in dem relevanten Zeitraum das jeweilige Medianentgelt beider Geschlechter in der maßgeblichen Führungsebene. Die Besonderheit des Falles: Die Betroffene orientierte sich dabei nicht an ebendiesen Medianwerten, sondern am Gehalt eines Spitzenverdieners in der Gruppe der männlichen Abteilungsleiter.

Die Vorinstanz (LAG Baden-Württemberg v. 1. Oktober 2024 – 2 Sa 14/24) gestand der Klägerin ein höheres Arbeitsentgelt zwar zu, allerdings nur in Höhe der Differenz der Medianentgelte der männlichen und weiblichen Vergleichsgruppe. Für die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung genüge es nicht, sich auf eine einzige Vergleichsperson des anderen Geschlechts zu berufen. Angesichts der Größe der männlichen Vergleichsgruppe und der Medianentgelte beider vergleichbarer Geschlechtergruppen bestehe keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung und damit kein Indiz i.S.v. § 22 AGG.

Das BAG (v. 23. Oktober 2025 – 8 AZR 300/24) beurteilte dies anders. Nach Ansicht der Erfurter Richterinnen und Richter genügt für die (vom Arbeitgeber zu widerlegende) Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts, wenn die klagende Arbeitnehmerin darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass ihre Arbeitgeberin einem anderen Kollegen, der die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet, ein höheres Entgelt zahlt. Hierzu darf sie zum Vergleich auch das Gehalt des Spitzenverdieners in der Gruppe der Männer heranziehen („Paarvergleich“). Die Größe der männlichen Vergleichsgruppe und die Höhe der Medianentgelte beider vergleichbarer Geschlechtergruppen ist für das Eingreifen der Vermutungswirkung ohne Bedeutung. Entscheidend ist, ob die Vergleichsperson die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet und höher vergütet wird. Kann die Arbeitgeberin, die aus einem solchen Paarvergleich folgende Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts nicht widerlegen, ist sie zur Zahlung des Entgelts verpflichtet, das sie dem zum Vergleich herangezogenen Kollegen gezahlt hat. Dies entspricht der Rechtsprechung des EuGH.

Das BAG hat die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Dieses hat nun zu prüfen, ob die Arbeitgeberin die Vermutung nach diesen Maßstäben widerlegt hat.

Entgelttransparenzrichtlinie

Während das BAG mit dem „Paarvergleich“ die prozessuale Schwelle für Entgeltgleichheitsklagen senkt, steht auf Grundlage des Unionsrechts bereits die nächste Zäsur bevor. Seit dem 6. Juni 2023 ist die Entgelttransparenzrichtlinie der Europäischen Union (RL (EU) 2023/970) in Kraft. Diese regelt Mindeststandards, die in den Mitgliedstaaten – mithin auch in Deutschland – spätestens zum 7. Juni 2026 umzusetzen sind. Mit dieser Richtlinie hat sich die Union das Ziel gesetzt, Transparenz und Gleichberechtigung in der Vergütung zu fördern und perspektivisch die sog. „Gender Pay Gap“ zu schließen.

Die Richtlinie konkretisiert zentrale Punkte für die Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgrundsatzes. Sie definiert, wann Tätigkeiten als „gleichwertig“ gelten (Art. 4 Abs. 4 der Entgelttransparenzrichtlinie) und stärkt die Rechte der Beschäftigten durch umfassende Ansprüche auf Schadensersatz (Art. 16 der Entgelttransparenzrichtlinie). Dieser umfasst nicht nur die Nachzahlung eines vorenthaltenen Entgelts einschließlich Boni und Sachleistungen, sondern auch Ersatz für immaterielle Schäden, entgangene Gewinnchancen sowie Verzugszinsen. Zudem gilt – wie im deutschen Recht nach § 22 AGG – eine erleichterte Darlegungslast sowie eine Beweislastumkehr (Art. 18 der Entgelttransparenzrichtlinie). Anders als das EntgTranspG (§ 4 Abs. 5) enthält die Entgelttransparenzrichtlinie keine pauschale Vermutungsregel zugunsten tariflicher Entgeltstrukturen. Tarifverträge bieten daher künftig keinen automatischen Schutz. Schließlich verbietet die Entgelttransparenzrichtlinie ausdrücklich jede vertragliche oder faktische Einschränkung der Entgeltoffenlegung durch Beschäftigte (Art. 7 Abs. 5 der Entgelttransparenzrichtlinie).

Im Unterschied zum bisherigen EntgTranspG sieht die Entgelttransparenzrichtlinie einen Auskunftsanspruch ohne Unternehmensgrößenschwelle vor und verpflichtet Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber bereits ab 100 Beschäftigten zur regelmäßigen Berichterstattung, nicht erst ab 500. Der Auskunftsanspruch knüpft zudem nicht an den Median, sondern an das Durchschnittsentgelt für gleiche bzw. gleichwertige Tätigkeiten an.

Damit geht die Entgelttransparenzrichtlinie deutlich über die bisherigen Vorgaben des EntgTranspG hinaus. Spätestens mit Ablauf der Umsetzungsfrist muss der deutsche Gesetzgeber die Richtlinie in nationales Recht überführt haben. Dabei ist mit einer umfassenden Reform des EntgTranspG zu rechnen. Da die Entgelttransparenzrichtlinie lediglich Mindeststandards vorgibt, sind auch strengere nationale Regelungen möglich.

Ausblick und Handlungsempfehlungen

Ob die Rechtsprechung zum Paarvergleich angepasst wird, wenn Auskunftsansprüche künftig, wie in der Entgelttransparenzrichtlinie vorgesehen, auf Durchschnitts- statt auf Medianentgelte abzielen, ist derzeit offen. Letztendlich beruhte der bisher herangezogene Medianwert auf dem korrespondierenden Auskunftsanspruch nach dem EntgTranspG. Allein der Umstand, dass künftig das Durchschnittsgehalt der Vergleichsgruppe preiszugeben ist, ändert nichts daran, dass sich eine Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts auch dann aufdrängen kann, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das konkrete Gehalt von Kolleginnen und Kollegen kennen. Sofern das BAG – wie zu erwarten sein dürfte – an seiner Rechtsprechung zum Paarvergleich festhält, ergibt sich daraus für Unternehmen ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Zum einen können sie ihren Beschäftigten nicht rechtswirksam untersagen, Informationen über ihr Gehalt an Kolleginne und Kollegen weiterzugeben und damit die Grundlage für Entgeltgleichheitsklagen zu ebnen. Zum anderen ergibt sich daraus ein hohes Potenzial einer Aufwärtsspirale der Gehälter – von den unteren Entgeltstufen bis hin zu den Spitzengehältern. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber können sich insbesondere nicht auf das bekannte Argument berufen, die männlichen Kollegen hätten schlicht besser verhandelt. Hier ist allerdings auch zu betonen, dass weder das EntgTranspG noch die Entgelttransparenzrichtlinie einen individuellen Auskunftsanspruch bzgl. der Vergütung eines konkreten Beschäftigten vorsehen.

Unternehmen sollten ihre Vergütungssysteme jetzt konsequent auf objektive, geschlechtsneutrale Kriterien ausrichten, deren Anwendung regelmäßig auf Diskriminierungsfreiheit prüfen und jede individuelle Vergütungsentscheidung nachvollziehbar dokumentieren. In diesem Zusammenhang sei insbesondere darauf hingewiesen, dass auch Tarifverträge eine Überprüfung des betrieblichen Entgeltsystems nicht entbehrlich machen. Einige Tarifverträge enthalten systematische Ungleichheiten (z.B. bei summarischen Arbeitsplatzbewertungen und Eingruppierungen), die spätestens nach Umsetzung – oder unmittelbarer Anwendung – der Entgelttransparenzrichtlinie eine Ungleichbehandlung nicht mehr „rechtfertigen“ können.

Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sollten daher bereits jetzt ihr betriebliches Entgeltsystem einer kritischen Analyse unterwerfen. Entgelt- und Beförderungsentscheidungen müssen nun mehr denn je transparent dokumentiert und nachvollziehbar begründet werden anhand der Mindestkriterien Kompetenz, Belastung, Verantwortung und Arbeitsbedingungen und bestehende Ungleichheiten proaktiv beseitigt werden. Dies betrifft neben dem Fixgehalt eine etwaige variable Vergütung, Zuschläge, geldwerte Vorteile, Betriebsrenten, Zuschüsse, Sonderzahlungen und weitere Leistungen mit Entgeltcharakter. Einzelfallentscheidungen – insbesondere zu Spitzenverdienern – sollten rechtlich besonders begründet werden, um Entgeltgleichheitsklagen entsprechend frühzeitig abwehren zu können. Die Entgelttransparenzrichtlinie betrifft „Männer und Frauen“. Aus Compliance-Sicht empfiehlt sich gleichwohl die Einbeziehung aller Geschlechtergruppen („Divers“).

Da Beschäftigten künftig die Offenlegung ihres Entgelts nicht untersagt werden darf, werden entsprechende Verschwiegenheitsklauseln unwirksam sein. Daher empfiehlt sich im Übrigen eine Überprüfung der verwendeten Arbeitsverträge, um zu vermeiden, dass aufgrund dieser Unwirksamkeit ganze Verschwiegenheitsklauseln im Rahmen einer AGB-Kontrolle gegenstandslos werden.

Schließlich darf nicht vergessen werden, bei Änderungen des betrieblichen Entgeltsystems zusätzlich den Betriebsrat rechtzeitig miteinzubeziehen (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG). Auch aus diesem Grund ist von einem Abwarten des Ablaufs der Umsetzungsfrist bzw. des Inkrafttretens des Umsetzungsgesetzes dringend abzuraten. Da die Entgelttransparenzrichtlinie aktuell als der einzige Wegweiser für die unmittelbare „Gehalts“-Zukunft fungieren kann, sind Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und ihre HR-Abteilung bestens beraten, diese nicht nur zu kennen, sondern bereits jetzt die vorgesehenen Mindestanforderungen umzusetzen.

Leonie Herzog
Leonie Herzog berät Mandanten umfassend zu Anliegen im Bereich Arbeitsrecht. Sie absolvierte ihr Referendariat im Bezirk des Landgerichts Düsseldorf mit Stationen bei der Deutschen Botschaft in Belgrad sowie bei Mittelstands- und Großkanzleien im Bereich Arbeitsrecht.

FOLGE UNS

THEMENBEREICHE

ARCHIV