Gerichtliche „Anpassung nach oben“ verletzt Tarifautonomie

Von am Februar 26, 2025
Gepostet In BVerfG, Tarifrecht

Dürfen die Arbeitsgerichte die zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vereinbarten Tarifverträge korrigieren? Diese Frage hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 11. Dezember 2024 zu Recht verneint.

Das BVerfG hat zwei Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aufgehoben, die eine solche „Korrektur nach oben“ vorgenommen hatten. Den Urteilen lag jeweils folgender Sachverhalt zugrunde: Nachtschichtarbeiter von CocaCola sowie einer Hamburger Brauerei verklagten ihre Arbeitgeber, um höhere Zuschläge zu erhalten. In den Tarifverträgen der Unternehmen wurden Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit unterschiedlich behandelt. Die Tarifverträge sahen für Nachtarbeit einen Zuschlag von 50% vor, während Nachtschichtarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer einen Zuschlag in Höhe von 25 % erhielten. Das BAG sah in dieser Regelung einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. Es stellte sich auf den Standpunkt, dass eine gleichheitswidrige Schlechterbehandlung von Nachtschichtarbeitnehmerinnen und – arbeitnehmern gegenüber solchen Arbeitnehmern vorliege, die außerhalb von Schichtsystemen Nachtarbeit leisten. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung läge nicht vor, weshalb eine rückwirkende Erhöhung der Zuschläge für Nachtschichtarbeit anzuordnen sei.

Das BVerfG sieht in den Entscheidungen des BAGs eine Verletzung der beschwerdeführenden Arbeitgeberinnen in ihre Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG). Die Auslegung des BAGs, dass eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes dazu führe, dass die tariflichen Zuschlagsregelungen für Nachtarbeit sowohl für Nachtarbeit als auch für Nachtschichtarbeit Anwendung fänden („Anpassung nach oben“), berücksichtigt die – ebenfalls durch das GG geschützte – Koalitionsfreiheit nicht in verfassungsrechtlich zutreffender Weise. Karlsruhe erkennt zwar an, dass die in kollektiver Privatautonomie handelnden Tarifvertragsparteien bei der Tarifnormsetzung den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG beachten müssen. Dennoch habe das BAG bei der Prüfung der Tarifverträge die Bedeutung der Tarifautonomie aus Art. 9 Abs. 3 GG weder in seiner Reichweite noch in Bezug auf die Folgen seiner Verletzung ausreichend beachtet.

Das BVerfG betont den weiten Gestaltungsspielraum, den die Tarifautonomie den Tarifparteien bei der Regelung von Arbeitsbedingungen zuweise. Die gerichtliche Überprüfung sei daher darauf begrenzt, diesen Spielraum nur bei willkürlichen Differenzierungen einzuschränken. Die unterschiedliche Behandlung von Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit bewege sich noch in den Tarifparteien zugewiesenen Gestaltungsspielraum, da die unterschiedliche Behandlung dadurch sachlich zu rechtfertigen sei, dass diese auf unterschiedlichen sozialen Belastungen und der Planbarkeit der Arbeitszeiten beruhe. Diese Zwecksetzungen seien laut dem ersten Senat vom grundrechtlich geschützten Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien erfasst.

Zudem sei Teil der zwingend zu beachtenden Tarifautonomie auch die Auswahl der Mittel, um etwaige Gleichheitssatzverstöße zu korrigieren. Sobald mehr als ein Weg in Betracht komme, um eine unzulässige Ungleichbehandlung zu korrigieren, ist es Aufgabe der Tarifpartner, die Art der Korrektur auszuwählen. Es ist daher den Gerichten in diesen Fällen nicht erlaubt, anstelle der Tarifpartner selbst anzuordnen, wie die Ungleichbehandlung zu beseitigen ist, wie es das BAG mit der „Anpassung nach oben“ in den entschiedenen Fällen getan hatte. Die Fälle wurden zur neuen Entscheidung nach Erfurt zurückverwiesen.

Schlagwörter: BVerfG, Tarifautonomie
Athanasia Eleftheriadou
Athanasia Eleftheriadou berät Mandanten umfassend im Bereich Arbeitsrecht. Athanasia Eleftheriadou legte ihren Master of Laws an der Universität zu Köln ab. Ihr Referendariat absolvierte Athanasia Eleftheriadou im Bezirk des Oberlandesgerichts Köln.

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