Warum ist das relevant? Die bisherige deutsche Rechtslage ging davon aus, dass die bloße Feststellung eines Datenschutzverstoßes durch ein Unternehmen für die Verhängung einer Geldbuße nicht ausreichend war. Vielmehr musste positiv festgestellt werden, dass eine Person aus der Führungsebene des Unternehmens gegen die Regelungen der DSGVO verstoßen oder seine Aufsichtspflichten verletzt hat und dies vorsätzlich oder fahrlässig geschehen ist. Damit führte nicht jede Verletzung der DSGVO-Bestimmungen, z.B. eine zu spät erteilte Auskunft an einen Beschäftigten oder die nicht-erfolgte Löschung von personenbezogenen Daten ehemaliger Beschäftigter, unbedingt zu einem Bußgeld.
Die Ausgangslage hat sich nun geändert. Nachdem der EuGH (Urteil vom 05.12.2023 – C-683/21 und C-807/21) Ende 2023 bereits wesentliche Feststellungen zu der Frage getroffen hatte, ob und unter welchen Voraussetzungen eine DSGVO-Geldbuße unmittelbar gegen ein Unternehmen verhängt werden darf, hat das Berliner Kammergericht (Beschluss vom 22.01.2024 – 3 Ws 250/21, 161 AR 84/21, 3 Ws 250/21 – 161 AR 84/21) diesen „Ball“ nun aufgenommen und weitere wichtige Feststellungen zur Verhängung von Geldbußen wegen DSGVO-Verstößen getroffen.
Das Wichtigste in Kürze:
- Die Verhängung einer Geldbuße gegen ein Unternehmen hängt nicht davon ab, dass zuvor festgestellt wurde, von welcher natürlichen Person der Datenschutz-Verstoß begangen wurde. Das Kammergericht wird deutlich: „alle Personen, die im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit [des datenschutzrechtlich Verantwortlichen] handeln, [fallen] in den abstrakten Verantwortungskreis der juristischen Person, und selbst eine normentsprechende Organisation führt – jedenfalls in aller Regel – nicht zur Exkulpation.“
- Unternehmen sind damit im Deliktsbereich der DSGVO per se schuldfähig, allein eine ordentliche Organisation ist keine Entschuldigung zur Vermeidung einer Geldbuße. Zukünftig kann unmittelbar gegen ein Unternehmen eine Geldbuße verhängt werden, selbst wenn das Verschulden einer Leitungsperson oder eine Aufsichtspflichtverletzung nicht nachgewiesen werden kann. Es ist ausreichend, wenn das Unternehmen über die Rechtswidrigkeit der Verarbeitung (d.h. über den Verstoß gegen die DSGVO) nicht im Unklaren sein konnte. Es wird nicht einmal eine Kenntnis seitens der Unternehmensleitung oder ihrer Repräsentanten vorausgesetzt.
- Unternehmen haften als datenschutzrechtlicher Verantwortliche damit sowohl für Verstöße, die von ihren Vertretern, Leitungspersonen oder Geschäftsführern begangen werden, als auch für Verstöße, die von jeder sonstigen Person begangen werden, die im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit in ihrem Namen handelt. Das gilt wohl auch für Auftragsverarbeiter, derer sich das Unternehmen bedient.
- Denkbare Szenarien zur Abwendung einer Geldbuße, also zur Exkulpation, umfassen in Zukunft vor allem den Mitarbeiterexzess (bspw. bewusste Verstöße gegen Richtlinien, Betriebsvereinbarungen oder Dienstanweisungen).
Handlungsempfehlung: Jede Person im Unternehmen muss wissen, welche datenschutzrechtlichen Anforderungen und Maßstäbe für die jeweilige Arbeit gelten. Zur Vermeidung von DSGVO-Geldbußen müssen Unternehmen in der Lage sein, darzulegen und nachzuweisen, dass sie einen eventuellen Verstoß gegen das Datenschutzrecht nicht erkennen (also darüber im Unklaren sein) konnten. Interne Datenschutzrichtlinien und -weisungen können zur Begründung eines Mitarbeiterexzesses und damit zur Exkulpation dienen. Die Etablierung, regelmäßige Überprüfung und Dokumentation einer funktionierenden Datenschutz-Organisation sowie die notwendigen Datenschutz-Schulungen aller Mitarbeiter gewinnen weiter an Wert. Sie sind zudem im Rahmen von Art. 82 Abs. 2 DSGVO nicht nur für die Entscheidung über das „Ob“ der Geldbuße relevant, sondern auch für die Bemessung von deren Höhe.
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