BAG zum Entgeltgleichheitsgebot nach Art. 157 AEUV und § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG – Der zahnlose Tiger bekommt erste Klauen!

Im Jahr 2021 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) erstmals, dass ein aufgrund von §§ 10ff. Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) mitgeteiltes Mediangehalt männlicher Kollegen, das höher liegt als das Gehalt der Auskunft verlangenden Mitarbeiterin, einen Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit gem. Art. 157 AEUV sowie § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG begründen kann (Urteil vom 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19). Es gilt insofern § 22 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), sodass ein solches Mediangehalt die Vermutung einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts begründe, die von Arbeitgeber:innen widerlegt werden müsse (vgl. auch Blogbeitrag vom 10. März 2021: „Die Entscheidung zum Equal Pay Day: Vermutungsregel für Entgeltungerechtigkeit“).

Nun hatte das BAG (PM zu Urteil vom 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21) in einer mit Spannung erwarteten Entscheidung darüber zu befinden, aufgrund welcher Umstände die Vermutung einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung in solchen Fällen widerlegt werden kann.

1. SACHVERHALT

Die Beklagte betreibt ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie mit 180 Mitarbeitern. Zum 1. Januar 2017 stellte sie einen neuen Mitarbeiter im Vertrieb ein und zum 1. März 2017 die Klägerin, ebenfalls als Mitarbeiterin im Vertrieb. Beiden bot sie im Rahmen der Vertragsverhandlungen ein monatliches Grundgehalt von EUR 3.500,00 brutto in der Einarbeitungszeit und ab dem 1. November 2017 eine zusätzliche, erfolgsabhängige Vergütung an. Die Klägerin akzeptierte das Angebot und vereinbarte daneben mit der Beklagten 20 Tage unbezahlte Freistellung pro Jahr. Der männliche Bewerber war mit dem Angebot nicht einverstanden und verlangte für die Dauer der Einarbeitungszeit bis zum 31. Oktober 2017 eine monatliche Grundvergütung in Höhe von EUR 4.500,00 brutto, welche die Beklagte akzeptierte. Nach der Einarbeitungszeit wurde die Grundvergütung des männlichen Kollegen abgesenkt, bevor es aufgrund weiterer vertraglicher Vereinbarungen mit der Beklagten mit Wirkung zum 1. Juli 2018 auf EUR 4.000,00 brutto wieder über das Grundgehalt der Klägerin angehoben wurde (bei gleichzeitiger Reduzierung der möglichen erfolgsabhängigen Vergütung).

Mit Wirkung zum 1. August 2018 trat sodann ein Haustarifvertrag bei der Beklagten in Kraft, der die Überführung der individuellen Entgelte der Beschäftigten in Entgeltgruppen vorsah. Für den Fall, dass das neue tarifliche Grundentgelt höher war als das bisherige Entgelt der jeweiligen Mitarbeiter:innen, war eine gedeckelte Anpassung von nicht mehr als EUR 120,00 vorgesehen. Sowohl die Klägerin als auch ihr männlicher Kollege wurden in dieselbe Entgeltgruppe überführt, die ein Grundgehalt von EUR 4.140,00 brutto vorsah.

Wegen der tarifvertraglichen Deckelung betrug das Grundgehalt der Klägerin ab dem 1. August 2018 EUR 3.620,00 brutto; das ihres männlichen Kollegen EUR 4.120,00 brutto.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin die seit ihrer Einstellung entstandene Entgeltdifferenz zu ihrem männlichen Kollegen geltend, sowie eine angemessene Entschädigung wegen ungerechtfertigter Benachteiligung gem. § 15 AGG.

Die Klägerin sowie ihr männlicher Kollege hatten dieselben Verantwortlichkeiten und Befugnisse.

2. ENTSCHEIDUNG DER VORINSTANZEN

Sowohl die erste als auch die zweite Instanz wiesen die Klage jeweils ab.

Nach Ansicht des LAG Sachsen (Urteil vom 3. September 2021 – 1 Sa 358/19) sprächen die Indizien zwar für [...]

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