Das Landesarbeitsgericht Hessen hat mit Beschluss vom 14. März 2022 (Az. 16 TaBV 143/21) entschieden, dass der Betriebsrat vom Arbeitgeber zur Ermöglichung der Teilnahme seiner Mitglieder an Betriebsratssitzungen mittels Videokonferenz die Überlassung von einem Tablet oder Notebook je Betriebsratsmitglied verlangen kann, sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Die kürzlich veröffentlichten Entscheidungsgründe geben Anlass, sich genauer mit den Voraussetzungen und der Möglichkeit von Betriebsratssitzungen per Video- und Telefonkonferenz auseinanderzusetzen.
SACHVERHALT
Der aus drei Personen bestehende Betriebsrat einer Filiale eines bundesweit tätigen Unternehmens im Textileinzelhandel verlangte vom Arbeitgeber Tablets oder Notebooks für jedes Betriebsratsmitglied, um Betriebsratssitzungen per Videokonferenz durchführen zu können. Der Betriebsrat hatte eine Geschäftsordnung beschlossen, in der niedergelegt war, dass Präsenzkonferenzen Vorrang vor Videokonferenzen genießen, letztere jedoch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes zulässig sind. Als sachliche Gründe nannte die Geschäftsordnung unter anderem öffentlich-rechtliche Kontaktsperren, drohende Beschlussunfähigkeit wegen behördlich angeordneter Quarantäne gegenüber Mitgliedern des Betriebsrats, keine alternative Räumlichkeit zur Sitzungsdurchführung, erhöhte Inzidenzwerte und Erkrankung von Mitgliedern des Betriebsrats. Der Arbeitgeber lehnte die Bereitstellung von Tablets oder Notebooks ab, woraufhin sich der Betriebsrat an das Arbeitsgericht wandte. Nachdem er bereits in erster Instanz Recht erhielt wurde die Entscheidung durch das Landesarbeitsgericht Hessen bestätigt.
PFLICHT ZUR BEREITSTELLUNG VON INFORMATIONS- UND KOMMUNIKATIONSTECHNIK
Der Arbeitgeber muss für Sitzungen, Sprechstunden und die laufende Geschäftsführung des Betriebsrates in erforderlichem Umfang unter anderem Informations- und Kommunikationstechnik zur Verfügung stellen (§ 40 Abs. 2 BetrVG). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung obliegt jedoch dem Betriebsrat die Prüfung, ob ein von ihm verlangtes Sachmittel zur Erledigung von Betriebsratsaufgaben erforderlich ist. Dabei hat er die betrieblichen Verhältnisse und die sich stellenden Aufgaben zu berücksichtigen. Im vom Landesarbeitsgericht Hessen entschiedenen Fall benötigte der Betriebsrat die Technik, um seinen Mitgliedern die Teilnahme an Betriebsratssitzungen mittels Videokonferenz zu ermöglichen.
BETRIEBSRATSSITZUNG MITTELS VIDEO- UND TELEFONKONFERENZ
Im Rahmen des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes hat der Gesetzgeber Mitte vergangenen Jahres die Möglichkeit von Betriebsratssitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz geschaffen (§ 30 Abs. 2 BetrVG). Gleichwohl gilt der gesetzlich verankerte Vorrang von Präsenzsitzungen (§ 30 Abs. 1 S. 5 BetrVG). Eine Betriebsratssitzung mittels Video- und Telefonkonferenz darf davon abweichend nur stattfinden, wenn die Geschäftsordnung die Voraussetzungen für eine solche Teilnahme unter Sicherung des Vorrangs der Präsenzsitzung festlegt, nicht mindestens ein Viertel der Mitglieder des Betriebsrats binnen einer vom Vorsitzenden zu bestimmenden Frist diesem gegenüber widerspricht und sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können.
Zur ordnungsgemäßen Durchführung der virtuellen Betriebsratssitzung hat der Vorsitzende in der Einladung mitzuteilen, ob die Sitzung in Form einer Video-/Telefonkonferenz stattfinden soll und eine angemessene Frist für den (nicht formgebundenen) Widerspruch der Betriebsratsmitglieder zu setzen. Widerspricht das erforderliche Quorum muss die anberaumte Sitzung als Präsenzsitzung stattfinden. Ein Verstoß hiergegen führt zur Unwirksamkeit gefasster Beschlüsse bzw. Ungültigkeit durchgeführter Wahlen.
Mit der Regelung zu Betriebsratssitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz hat der Gesetzgeber allerdings einen wenig rechtssicheren Zustand geschaffen. Nach dem Gesetzeswortlaut bleibt unklar, ob die Geschäftsordnung die Voraussetzungen für eine virtuelle Sitzung rahmenmäßig festlegen muss und welche Rechtsfolgen eine unzureichende Ausgestaltung der Geschäftsordnung hat.
DIE ENTSCHEIDUNG
Ob die Geschäftsordnung die Voraussetzungen einer virtuellen Sitzung rahmenmäßig festlegen muss, beantwortet auch das Landesarbeitsgericht Hessen nicht. Es stellt jedoch fest, dass die Geschäftsordnung im entschiedenen Fall inhaltlich die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Demnach reicht es aus, wenn die Geschäftsordnung den Vorrang von Präsenzsitzungen statuiert, von welchem bei Vorliegen sachlicher Gründe abgewichen werden kann. Dabei nennt die Geschäftsordnung beispielhaft Fälle, die einen solchen sachlichen Grund bilden können. Das Gericht setzt sich hier insbesondere mit den sachlichen Gründen des Gesundheitsschutzes im Rahmen der Corona-Pandemie auseinander, in dessen Zuge der Gesetzgeber die Möglichkeit virtueller Betriebsratssitzungen einführte. Es stellt klar, dass die Durchführung einer virtuellen Sitzung aufgrund der eigenen Einschätzung der Betriebsratsmitglieder über eine Unzumutbarkeit der Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln wegen der Infektionsgefahren mit dem Coronavirus dem Bestimmtheitserfordernis genügt.
Abgelehnt hat das Gericht eine unzulässige Begünstigung der Betriebsratsmitglieder wegen ihrer Tätigkeit dadurch, dass sie frei nach eigener Einschätzung entscheiden dürften, an einzelnen Tagen zu Hause zu bleiben, um an einer Videokonferenz des Betriebsrats teilzunehmen. Hierbei machten sie von der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit der Teilnahme an Betriebsratssitzungen mittels Videokonferenz Gebrauch, weswegen der Arbeitgeber sie im Übrigen auch nicht auf (kostengünstigere) Telefonkonferenzen verweisen kann.
Auch könne sich der Arbeitgeber nicht uneingeschränkt auf den vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Grundsatz berufen, Betriebsratsmitglieder müssten während ihrer arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats anwesend sein. Für die Dauer der Teilnahme an einer Videokonferenz gelte insofern eine Einschränkung, da eine solche von vornherein – insbesondere aufgrund von Aspekten des Gesundheitsschutzes – keinen Sinn ergäbe, wenn sämtliche Teilnehmer sich im Betriebsratsbüro aufhalten müssten. Insofern müsse es der Arbeitgeber auch hinnehmen, dass zwischen dem Ende der Betriebsratstätigkeit und der tatsächlichen Arbeitsaufnahme im Betrieb eine gewisse Zeitspanne auf die Anreise zum Arbeitsplatz entfällt. Ob diese vom Arbeitgeber zu vergüten ist, stand nicht zur Entscheidung des Gerichts.
Die Anschaffungskosten der erforderlichen Informations- und Kommunikationstechnik sind vom Arbeitgeber zu tragen. Der Betriebsrat kann jedoch keinen bestimmten Gerätetyp verlangen. Die Auswahlentscheidung steht dem Arbeitgeber zu. Er ist aber verpflichtet den Betriebsratsmitgliedern die Geräte dauerhaft zu überlassen, damit diese in kurzfristig notwendigen Fällen unmittelbar darauf zugreifen können.
Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Bereitstellung von Tablets und Notebooks bedarf indes – wie so häufig – insbesondere vor dem Hintergrund der Erforderlichkeit stets einer Prüfung im Einzelfall.