Am 1. Januar 2023 ist es so weit – die elektronische AU-Bescheinigung kommt (endlich) auch ins Unternehmen. Bislang waren lediglich Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, die Daten zur AU-Bescheinigung elektronisch weiterzugeben. Ab dem 1. Januar 2023 sind hiervon auch Arbeitgeber erfasst. Arbeitnehmende werden nicht mehr verpflichtet sein, den „gelben Schein“ beim Arbeitgeber vorzulegen. Vielmehr muss der Arbeitgeber selbst initiativ werden und die Daten bei der Krankenkasse anfordern. Dies gilt allerdings nur im Hinblick auf gesetzlich versicherte Arbeitnehmende.
1. DAS WICHTIGSTE AUF EINEN BLICK
Während bislang die Arbeitnehmenden verpflichtet waren, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihrem Arbeitgeber spätestens am vierten Tage der AU vorzulegen, muss der Arbeitgeber die Daten zur Arbeitsunfähigkeit nun selbst abrufen. Die gesetzliche Regelung dieser Änderung wird in dem neuen § 5 Abs. 1a EFZG zu finden sein.
Die Pflicht, eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit sowie die voraussichtliche Dauer dem Arbeitgeber unverzüglich anzuzeigen, bleibt für Arbeitnehmende aber unverändert bestehen. Statt aber nun spätestens am vierten Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen zu müssen, sind Arbeitnehmende nun nur noch verpflichtet, die Arbeitsunfähigkeit am dritten Tag ärztlich feststellen lassen. Zudem sollten sich Arbeitnehmende eine Bescheinigung für sich selbst aushändigen lassen.
Die Arztpraxis übermittelt die Daten nach der Feststellung an die gesetzliche Krankenkasse. Diese erstellt eine Meldung, welche Namen, Beginn und Ende der Arbeitsunfähigkeit, das Datum der ärztlichen Feststellung sowie eine Kennzeichnung als Erst- oder Folgebescheinigung enthält. Auch ist anzugeben, ob Anhaltspunkte für einen Unfall bestehen.
Die Meldung übermittelt jedoch nicht die Krankenkasse an den Arbeitgeber. Vielmehr muss dieser selbst aktiv werden und die Meldung elektronisch bei der Krankenkasse abrufen. Die jeweiligen medizinischen Inhalte und Diagnosen werden dabei nicht mitgeteilt.
Das beschriebene Verfahren greift nicht bei Privatversicherten sowie bei Aufsuchen einer Ärztin oder eines Arztes, welcher nicht an der kassenärztlichen Versorgung teilnimmt.
2. UMGANG MIT TECHNISCHEN FEHLERN
Fraglich sind die Folgen bei technischen Fehlern, etwa einer fehlgeschlagenen oder fehlerhaften Übermittlung der Daten an die Krankenkasse oder beim Abruf durch den Arbeitgeber. Die Nachweispflicht für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung der Entgeltfortzahlung trifft nach wie vor die Arbeitnehmenden. Sie müssen das Vorliegen außerprozessual und prozessual nachweisen. Daher sollen sich Arbeitnehmende auch weiterhin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform aushändigen lassen.
Ob Arbeitgeber in solchen Fällen berechtigt sind, entsprechend der Vorschrift des § 7 EFZG, die Entgeltfortzahlung zu verweigern, ist unklar. Eine Anpassung der gesetzlichen Vorschrift, wonach eine Verweigerung möglich ist, solange Arbeitnehmende die vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht vorlegen, dahingehend, dass dies auch im Falle der fehlenden Feststellung gilt, ist nicht erfolgt.
3. BETEILIGUNG BETRIEBSRAT?
Arbeitgeber, bei denen ein Betriebsrat besteht, müssen diesen unter Umständen beteiligen. Zwar steht dem Betriebsrat grundsätzlich kein Beteiligungsrecht im Hinblick auf die Erfüllung der Anzeige-, Nachweis- und Feststellungspflichten der Arbeitnehmenden zu. Doch sind im Zusammenhang mit der eAU Mitbestimmungsrechte im Einzelnen zu prüfen.
So könnten Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG betroffen sein. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats kommt nur in Betracht, soweit keine gesetzliche Regelung besteht. Eine solche existiert hinsichtlich der eAU aber gerade aufgrund des neuen § 5 Abs. 1a EFZG. Hier ist die praxisrelevante Ausnahme zu beachten, in der der Arbeitgeber grundsätzlich von der Möglichkeit Gebrauch macht, die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit früher (z.B. bereits ab dem ersten Tag) zu verlangen. Dann liegt eine Abweichung vom Gesetz vor, sodass das Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats zu beachten ist. Eine Rückausnahme besteht hingegen, wenn der Arbeitgeber nur in einem einzelnen Fall handelt, es also an einem kollektiven Bezug fehlt. In dieser Situation muss der Betriebsrat nicht beteiligt werden.
Eine Beteiligung des Betriebsrats ist darüber hinaus denkbar, wenn zur betrieblichen Umsetzung etwa technische Einrichtungen im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG eingeführt werden. Hier ist allerdings fraglich, ob diese Einrichtung der Verhaltens- oder Leistungskontrolle zu dienen geeignet sind. Jedenfalls dürften aber Überwachungspflichten hinsichtlich der Einhaltung des Datenschutzes bestehen.
4. VERTRAGSGESTALTUNG
Etwaige vertragliche Regelungen werden in Zukunft etwas komplizierter. Der Arbeitgeber kann zwar einfach auf die gesetzliche Regelung verweisen. Möchte er jedoch die Regelungen im Vertrag noch einmal aufführen, etwa auch, weil er von dem Recht, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung früher zu fordern, Gebrauch machen möchte, ist eine Unterteilung zwischen gesetzlich und privat Versicherten in der vertraglichen Regelung kaum mehr umgänglich. Berücksichtigt werden muss auch der Fall, in welchem gesetzlich versicherte Arbeitnehmende Ärztinnen oder Ärzte aufsuchen, welche nicht an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmen.
5. ENTWARNUNG: KEINE ZWINGENDE ANPASSUNG VON ALTVERTRÄGEN
Derzeit können Arbeitgeber davon ausgehen, dass eine Anpassung sämtlicher Altverträge nicht erforderlich ist. Bestehende Regelungen, wonach die AU-Bescheinigung vorgelegt werden muss, entsprechen in den Anwendungsfällen der eAU (siehe oben) nicht länger den gesetzlichen Vorgaben. Sie dürften insoweit eine nachteilige Abweichung von der gesetzlichen Regelung darstellen, welche das EFZG explizit verbietet, und damit unwirksam sein. Die Folge ist die Anwendung der gesetzlichen Regelung. Soweit Arbeitgeber die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit am ersten Tag wünschen, sollten sie dies gegenüber ihren Arbeitnehmenden nach Inkrafttreten der Regelung erneut anordnen.