Der sozialversicherungsrechtliche Status von Geschäftsführern und (vermeintlich) freien Mitarbeitenden ist ein Dauerbrenner. Seit jeher wird aus ganz unterschiedlichen Beweggründen auf teils mehr oder weniger kreative Weise versucht, Konstellationen zu entwickeln, mit denen einer Versicherungspflicht in den Zweigen der deutschen Sozialversicherungsträgern entgangen werden kann. Im Rahmen von Betriebsprüfungen durch die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) kommt es für Unternehmen jedoch immer wieder zu unschönen Überraschungen.
1. AKTUELLE ENTSCHEIDUNGEN
Zuletzt hat das Sozialgericht (SG) Landshut entschieden, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführers, obwohl er 50% der Gesellschaftsanteile hält, jedoch im Falle einer Pattsituation im Rahmen der Gesellschafterversammlung durch den anderen Gesellschafter-Geschäftsführer aufgrund einer im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Stichentscheidungskompetenz überstimmt werden kann, abhängig beschäftigt und somit sozialversicherungspflichtig ist (SG Landshut, Urteil vom 11. Januar 2024 – S 1 BA 23/23). Anders als rein schuldrechtliche Stimmbindungsklauseln, die keinen Einfluss auf die statusrechtliche Beurteilung haben (BSG, Urteil vom 12. Mai 2020 – B 12 R 11/19 R), soll dies nach Ansicht des SG bei einer im Gesellschaftsvertrag festgehaltene Kompetenzordnung – ebenso wie eine qualifizierte Sperrminorität (BSG, Urteil vom 11. November 2015 – B 12 KR 13/14 R) – anders sein.
Eine Konstellation wie in der Entscheidung des SG Landshut mag ein Sonderfall sein. Regelmäßig werden durch die Sozialgerichte aber auch Entscheidungen zu praxisrelevanteren Konstellationen getroffen. So ging es im Sommer 2023 vor dem BSG (20. Juli 2023 – B 12 BA 1/23 R) um eine Person, die als Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer einer Ein-Mann-UG im Rahmen eines Dienstleistungsvertrages zwischen UG und einem dritten Auftraggeber (Krankenhaus) Leistungen als Pflegefachkraft erbrachte. Die DRV hatte ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis des Allein-Gesellschafter-Geschäftsführers zum Auftraggeber der UG für die Dauer der dort erbrachten Tätigkeiten festgestellt. Im Ergebnis hat auch das BSG diese Ansicht bestätigt. Demnach mag zwar ein Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer einer UG/GmbH als solcher nicht bei der UG/GmbH abhängig beschäftigt i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB IV sein. Der Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer war jedoch im Rahmen des Dienstleistungsvertrages zwischen UG und Auftraggeber letztlich zur Erbringung weisungsgebundener Arbeitsleistung unter Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers an diesen überlassen worden. Das ist nach Ansicht des BSG grundsätzlich ausreichend.
2. BEDEUTUNG
Die umfassenden Entscheidungsgründe des BSG und der umfangreiche Begründungsaufwand (Parallele zur Arbeitnehmerüberlassung, Gesetzessystematik und historische Entwicklung, verfassungsrechtliche Schranken) deuten dabei nicht auf eine vermeintliche Sonderkonstellation hin, sondern unterstreichen die Bedeutung der Entscheidung. Denn in der täglichen Praxis ist es Gang und Gäbe (bspw. im IT-Sektor), das Risiko einer abhängigen Beschäftigung und Beitragspflicht von freien Mitarbeitenden dadurch zu verringern, dass die freien Mitarbeitenden nicht selbst den Dienstleistungsvertrag mit dem Auftraggeber abschließen, sondern eine juristische Person (UG oder GmbH) dazwischengeschaltet wird. Da die freien Mitarbeitenden als Alleingesellschafter der UG/GmbH (vermeintlich) zwingend selbstständig tätig sind, geht mit dieser Ausgestaltung die Erwartung der Beteiligten einher, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zwischen freien Mitarbeitenden und Auftraggeber nicht begründet werden kann. Laut BSG ist dies ein Trugschluss. Denn: Im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung einer Tätigkeit kommt es vornehmlich auf deren tatsächliche Ausgestaltung und nicht die zugrundeliegenden vertraglichen Beziehungen an.
3. KONSEQUENZEN EINER UNRICHTIGEN STATUSRECHTLICHEN BEURTEILUNG
Die Konsequenzen bei einer unrichtigen Beurteilung der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung sind nicht zu unterschätzen:
- Sozialversicherungsbeiträge können grundsätzlich für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren nachgefordert werden; bei vorsätzlichem Handeln für bis zu 30 Jahre.
- Unternehmen haften für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, also Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil (zusammen rund 40% des gezahlten Entgelts, wobei Beitragsbemessungsgrenzen zu berücksichtigen sind).
- Hinzu kommen Zinsen und Säumniszuschläge.
- Ein Regress bzgl. des nachgeforderten Arbeitnehmeranteils ist dabei nur in sehr eingeschränktem Maße (drei Monate) rechtlich zulässig.
- Häufig zu wenig Beachtung erfährt auch das Risiko einer Strafbarkeit wegen (vorsätzlichen) Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen gem. § 266a StGB, deren sich die Unternehmensleitung ausgesetzt sehen kann.
4. KRITERIEN UND FREELANCER-CHECK
Maßgeblich für die Beurteilung als abhängige Beschäftigung ist die Erbringung nichtselbständiger Arbeit. Diese kann, muss aber nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbracht werden (bspw. sind Fremdgeschäftsführer keine Arbeitnehmer, jedoch abhängig Beschäftigte i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB IV). Kennzeichnend für die abhängige Leistungserbringung ist insbesondere eine umfassende Weisungsgebundenheit hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung der Tätigkeit. Zudem ist die betriebliche Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation (bspw. arbeitsteilige Arbeitserbringung mit anderen Arbeitnehmern, Aufnahme in Schicht-, Urlaubs- und Vertretungspläne, Auftritt als Mitglied der betrieblichen Organisation des Auftraggebers (betriebliche E-Mailadresse, einheitliche Arbeitskleidung, Namensschilder etc.)) wesentliches Indiz für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis.
Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich dabei letztlich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und welche Merkmale überwiegen.
Um das Risiko einer geplanten oder auch bereits bestehenden Rechtsbeziehung mit betriebsfremden Dritten beurteilen zu können, können wir Ihnen einen ersten, kostenfreien Compliance-Check anbieten.
5. WEITERE FRAGESTELLUNGEN / AUSSICHT
Eine andere Frage hat das BSG in seiner Entscheidung offengelassen, wobei die Frage wohl auch im originären Zuständigkeitsbereich des Bundesarbeitsgerichts (BAG) liegt: Kann die Überlassung eines (Gesellschafter-)Geschäftsführers ggf. als unzulässige Umgehung der Bestimmungen des AÜG gewertet werden und ein Arbeitsverhältnis mit dem „Entleiher“ begründen? Ob dies eine zwingende Konsequenz ist, bleibt fraglich(vgl. auch BAG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 9 AZR 76/16). Insofern erscheint uns jedenfalls eine Unterscheidung zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung insbesondere vor dem Hintergrund des auch der Allgemeinheit dienenden Schutzzwecks gerechtfertigt.
Die Feststellung eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, kann im Übrigen auch weitere Folgen haben. So erhalten freie Mitarbeitende regelmäßig eine höhere Vergütung als abhängig beschäftigte Mitarbeitende. Das BAG hat insofern anerkannt, dass im Falle der rückwirkenden Feststellung eines bestehenden abhängigen Arbeitsverhältnisses überzahlte Honorare vom Arbeitgeber zurückverlangt werden können (BAG, Urteil vom 26. Juni 2019 – 5 AZR 178/18).
Gerade vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft und Finanzierungslücken im staatlichen Sozialversicherungssystem ist zu erwarten, dass die Frage der statusrechtlichen Beurteilung von Tätigkeiten (bspw. Cloudworking) auch in Zukunft weiterhin regelmäßig die deutschen Sozial- und Arbeitsgerichte beschäftigen wird.