Interessenabwägung
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Betriebsschließung wegen Covid-19

Erste Gerichtsentscheidungen bejahen Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers

1. DIE FRAGE DES BETRIEBSRISIKOS, § 615 S. 3 BGB
Ob der Arbeitgeber die Gehälter seiner Arbeitnehmer selbst dann weiterbezahlen muss, wenn er sie ohne eigenes (und ohne deren) Verschulden vorübergehend nicht beschäftigen kann, wird mit Hilfe der Lehre vom Betriebsrisiko beantwortet. Grundsätzlich gilt zwar der Leitsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ (§§ 275 Abs.1, 326 Abs. 1 BGB). Liegt jedoch ein Fall des Betriebsrisikos vor – anerkannt etwa bei einer Naturkatastrophe, Brandschäden oder witterungsbedingtem Arbeitsausfall – dann muss, so § 615 S. 3 BGB, der Arbeitgeber die Gehälter seiner Arbeitnehmer weiterbezahlen, obwohl diese wegen Unmöglichkeit im Gegenzug keine Arbeitsleistung erbringen können. Kerngedanke ist hierbei, dass der Arbeitgeber Nutznießer des wirtschaftlichen Erfolges seines Betriebes ist, so dass er als dessen Kehrseite auch das Risiko für schlechte Zeiten und Misserfolge zu tragen hat.

Seitdem im Frühjahr 2020 die Coronapandemie auch Deutschland erreicht hat, mussten viele Betriebe aufgrund behördlicher Anordnung aus Gründen des allgemeinen Gesundheitsschutzes vorübergehend schließen. Diese Arbeitgeber fragen sich, ob sich in diesen Fällen „nur“ ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht und dementsprechend der Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ gilt oder doch die Betriebsrisikolehre greift und die Gehälter der unfreiwillig nicht weiterbeschäftigten Arbeitnehmer auch während der Betriebsschließung gezahlt werden müssen.

2. DIE CORONA-PANDEMIE ALS BETRIEBSRISIKO DES ARBEITGEBERS?
Die Grenzen des Betriebsrisikos sind nicht klar umrissen und das Gesetz enthält keine Definition, die bei der Abgrenzung des Betriebsrisikos zum allgemeinen Lebensrisiko helfen könnte. Das Betriebsrisiko wird wechselnd als „im Betrieb liegende Gründe“, „betriebstechnische Gründen“ oder „in der betrieblichen Sphäre des Arbeitgebers liegend“ beschrieben. Ob auch die Betriebsschließung wegen der Corona-Pandemie unter diese Kategorie der unverschuldeten, aber dem Arbeitgeber zuzurechnenden Betriebsstörung fällt, war bisher nicht klar. Immerhin beruhen die Betriebsschließungen auf (nicht zwingenden) gesundheitspolitischen Entscheidungen (die im Ermessen der Politik stehen) und nicht – wie Naturkatastrophen – auf einer zwingenden physischen Gewalt. Andererseits ist in Fällen der behördlichen Betriebsschließung der Arbeitnehmer arbeitsfähig, -willig und in der Lage, seiner Arbeitspflicht nachzukommen, so dass die Einordnung als allgemeines Lebensrisiko zu dessen Lasten als nicht sachgerecht erscheint.

Nun liegt das erste landesgerichtliche Urteil zu dieser Frage vor:

3. LAG DÜSSELDORF BEJAHT BETRIEBSRISIKO
In seiner Entscheidung vom 30. März 2021 (8 Sa 674/20) hat das LAG Düsseldorf nun die Vorinstanz, das ArbG Wuppertal vom 23. September 2020 (7 Ca 1468/29), bestätigt und geurteilt, dass die aktuelle Corona-Pandemie eine Naturkatastrophe ist (sic!) und nach der Betriebsrisikolehre dieses Risiko vom Arbeitgeber zu tragen ist. Der Arbeitgeber schuldet demnach auch dann die Gehälter (nach § 615 S. 3 BGB), wenn seine Arbeitnehmer wegen einer behördlich angeordneten Betriebsschließung ihre Arbeitsleistung nicht erbringen können.

Interessanterweise stellt das LAG Düsseldorf dabei auch fest, dass es nicht darauf ankommt, ob die behördliche Anordnung bundes- oder landesweit für eine bestimmte Branche oder nur punktuell örtlich begrenzte Betriebe betrifft. Bisher stellten einige Stimmen in der Literatur gerade auf diese Unterscheidung ab und bejahten jedenfalls bei einer punktuell bzw. nur gegenüber einem einzelnen Betrieb erteilten behördlichen Anordung zur Betriebsschließung das Betriebsrisiko und damit die Lohnfortzahlungpflicht des Arbeitsgebers.

Die detaillierten [...]

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Antigen-Schnelltests – Pflicht zum Test am Arbeitsplatz?

1. ANTIGEN-SCHNELLTESTS ZUR SELBSTANWENDUNG
Seit Ausbruch der Corona-Panemie im vergangenen Jahr stehen Arbeitgeber bei der Organisation des Arbeitsalltags vor vielschichtigen Herausforderungen. Hierbei müssen sie wirtschaftliche Interessen, Gesichtspunkte des Arbeitsschutzes und der ihnen gegenüber ihren Mitarbeitern obliegenden Fürsorgepflichten immer wieder mit den berechtigten Interessen ihrer Mitarbeiter in Einklang bringen.
Inzwischen wurden erste Antigen-Schnelltests vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für eine Selbstanwendung zugelassen. Hierbei handelte es sich zunächst um drei sog. „Nasal-Tests“, bei denen der Abstrich im vorderen Bereich der Nase („Nasebohren“) entnommen wird. Dies wird deutlich weniger unangenehm empfunden, als die Nasopharyngeal-Tests, bei denen Sekret tief aus dem Rachenraum durch die Nase und/oder den Rachen entnommen wird. Zudem sollen in Kürze hier auch Tests zugelassen werden, bei denen der Test mit einer Speichelprobe erfolgen kann („Spucktest“). Es wird erwartet, dass die Tests in Kürze im Handel für jedermann erhältlich sind und die Anzahl der zugelassenen Tests sprunghaft zunehmen wird.

Hier stellt sich nun für Arbeitgeber die Frage, ob derartige Tests für solche Bereiche zur Pflicht für die Mitarbeiter (auch außerhalb von „Hot Spot-Regelungen“) gemacht werden können, in denen eine Präsenz im Betrieb weiterhin unumgänglich ist. Ein Ausbruch von Coronainfektionen kann weitreichende Folgen für ein Unternehmen haben und die vorübergehende Stilllegung des gesamten Betriebes oder aber eines kritischen Betriebsteils auslösen. Hier wäre z.B. denkbar, an einem Tag der Woche einen solchen Test von allen Mitarbeitern zu verlangen und diesen nur bei „negativem“ Testergebnis den Zugang zum Betriebsgelände zu gewähren.

Bereits am 5. Februar 2021 wies in diesem Zusammenhang das Arbeitsgericht Offenbach einen Antrag auf einstweilige Verfügung eines Mitarbeiters ab. Dieser hatte im Eilverfahren den Zugang zu seinem betrieblichen Arbeitsplatz verlangt, der ihm zuvor durch den Arbeitgeber verweigert worden war, weil der Mitarbeiter nicht an einem PCR-Schnelltest zur Bestimmung einer möglichen Corona-Infektion teilnehmen wollte. Die verpflichtende Schnelltestung hatte der Arbeitgeber zusammen mit dem Betriebsrat eingeführt. Ohne auf die Zulässigkeit einer solchen betrieblichen Vereinbarung einzugehen, sah das Gericht im zu entscheidenden Fall die für eine einstweilige Verfügung vorausgesetzte Eilbedürftigkeit als nicht gegeben an. Offen blieb hier zunächst die Zulässigkeit des Vorhabens insgesamt.

2. ARBEITSRECHTLICHE BEURTEILUNG
Dem Arbeitgeber steht gem. § 106 S. 2 GewO ein Weisungsrecht nach billigem Ermessen in Bezug auf die Ordnung im Betrieb zu, soweit sie nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften näher geregelt ist.
Hinsichtlich der Billigkeit einer solchen Weisung kommt es – wenn keine der besagten Regelungen entgegenstehen – dabei auf eine Abwägung der Interessen im Einzelfall an.

Hierbei stehen sich die Interessen des einzelnen Mitarbeiters auf körperliche Unversehrtheit, Achtung seines Persönlichkeitsrechts, sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung und seiner Intimsphäre und die des des Arbeitgebers auf wirtschaftliche Betätigung sowie seine Schutz- und Fürsorgepflichten gegenüber allen anderen Mitarbeitern gegenüber.

Zumindest für den Fall, dass eine Tätigkeit zwingend in den betrieblichen Räumen des Arbeitgebers notwendig ist (z.B. Produktionsanlagen, Logistik-Abteilungen, Rechenzentren, etc.) und somit eine Arbeit aus dem Homeoffice von vornherein ausscheidet, halten wir auch eine generelle, verpflichtende Einführung von Coronaschnelltests für arbeitsrechtlich zulässig. So spricht für ein überwiegendes Arbeitsgeberinteresse [...]

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