Sicher – wir haben in Deutschland gerade andere Probleme als die Diskussion über eine Impfpflicht. Wem es nicht gelingt, rechtzeitig ausreichend Impfstoff zu bestellen, muss sich keine Gedanken darüber machen, dass die Frage einer Impfpflicht das beherrschende Thema der Talkshows im Wahljahr sein wird. Eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht wird es nicht geben. So viel steht fest. Erleichterungen für Geimpfte (vgl. etwa die jüngsten Ideen des Impfspitzenreiters Israel finden Sie hier) hält der deutsche Ethikrat u.a. aus einleitend genanntem Grund für einen Verstoß gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz. Bleibt das Arbeitsverhältnis und die Frage, ob es eine Impfpflicht für Arbeitnehmer geben kann.
Problem
Viele Arbeitgeber stellen sich die Frage, ob sie Arbeitnehmer anweisen können, sich gegen das Corona-Virus impfen zu lassen. Insbesondere die in § 23 Abs. 3 IfSG genannten Einrichtungen (z.B. Krankenhäuser, Arztpraxen, ambulante Pflegedienste) trifft nach der vorgenannten Vorschrift eine erhöhte Pflicht, die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um eine Übertragung des Corona-Virus zu vermeiden. Eine ausdrückliche gesetzliche Pflicht für die Impffung gegen das Corona-Virus existiert bisher nicht und wurde in der Politik bisher grundsätzlich abgelehnt. Jedoch hat u.a. der Ministerpräsident von Bayern, Markus Söder, eine solche für Pflegeberufe ins Spiel gebracht.
§ 20 Abs. 8 IfSG regelt Impfungen u.a. von Arbeitnehmern gegen das Masernvirus. Danach müssen alle, die in den in § 23 Abs. 3 S. 1 IfSG genannten Bereichen sowie u.a. in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nr. 1 bis 4 IfSG (z.B. Kindertageseinrichtungen, Heime und Schulen) und Asylunterkünften nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 IfSG tätig sind, ihrem Arbeitgeber entweder einen Masernimpfschutz oder Immunität nachweisen können. Solange kein Nachweis vorliegt, besteht gemäß § 20 Abs. 8 S. 7 IfSG ein Beschäftigungsverbot. Die Impfung eines Arbeitnehmers kann folglich nur mittelbar erzwungen, nicht aber gegen seinen Willen durchgesetzt werden. § 20 Abs. 8 IfSG statuiert damit keine Impfpflicht, sondern eine Impfobliegenheit. Dass solch ein mittelbarer Druck auf den Arbeitnehmer zulässig ist, kann ferner der gesetzgeberischen Wertung des § 56 Abs. 1 S. 2 IfSG entnommen werden, wonach der infektionsschutzrechtliche Entschädigungsanspruch bei Nichtanspruchnahme einer empfohlenen Impfung ebenfalls entfällt.
Rechtsgrundlage und rechtlicher Rahmen
Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung wie beim Masernvirus verbleibt als Rechtsgrundlage für die Impfobliegenheit gegen das Corona-Virus das arbeitgeberseitige Weisungsrecht nach § 106 GewO. Dieses kann der Arbeitgeber nutzen, um seinen Schutzpflichten gegenüber anderen Arbeitnehmern oder Dritten gerecht zu werden. Danach hat der Arbeitgeber alle ihm zumutbaren, möglichen und zum Gesundheitsschutz erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Zwar trifft den Arbeitnehmer dabei gemäß § 15 ArbSchG eine Mitwirkungspflicht bei Arbeitsschutzmaßnahmen und Schutzmaßnahmen zugunsten Dritter, jedoch kann hieraus noch keine Impfpflicht abgeleitet werden.
Teilweise wird vertreten, dass eine Impfobliegenheit bzw. Impfpflicht bereits an einer fehlenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung – wie im Falle der Maserninfektion – scheitere, da erhebliche Grundrechtseingriffe, die wie hier z.B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG betreffen, nur aufgrund eines hinreichend bestimmten Gesetzes erfolgen dürften. Es müsse zumindest eine Verordnung auf der Grundlage des § 20 Abs. 6, 7 IfSG erlassen werden. Jedoch besteht dieser Wesentlichkeits- bzw. Parlamentsvorbehalt nur für Grundrechtseingriffe und. Anweisungen durch den Staat. Private Arbeitgeber sind nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden. Daraus folgt zugleich, dass es staatlichen Arbeitgebern momentan verwehrt wäre, eine Impfung ihrer Angestellten mittelbar einzufordern.
Voraussetzungen der Impfobliegenheit
Auf der Grundlage des Weisungsrechts kann der Arbeitgeber Arbeitnehmer keinesfalls beliebig auffordern, sich gegen das Corona-Virus impfen zu lassen. Das Weisungsrecht nach § 106 GewO findet seine Grenzen u.a. in der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte. Deshalb sind die legitimen Interessen des Arbeitgebers an einer Impfung des Arbeitnehmers mit den Rechtsgütern und Interessen des Arbeitnehmers – insbesondere dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – umfassend abzuwägen. Die Impfobliegenheit muss insbesondere verhältnismäßig sein, weshalb es keine milderen gleich effektiven Mittel zur Gesundheitsfürsorge geben darf. Es bietet sich an, die Frage der Impfobliegenheit anhand der folgenden Abwägungsgesichtspunkte zu prüfen: Zunächst ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer überhaupt in einem infektionsgefährdeten Bereich tätig ist. Das ist in all den Fällen abzulehnen, in denen Arbeitnehmer weitgehend isoliert arbeiten (Home-Office, Einzelbüros), oder sich die Infektionsgefahr nicht von derjenigen im Alltag unterscheidet. Aus diesem Grund kommt es beispielsweise auch nicht darauf an, ob sich der Arbeitnehmer. allein aufgrund seiner Tätigkeit in ein Risikogebiet begeben muss und sich dort im Vergleich zu seinem Heimatort oder der Arbeitsstätte einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt sieht. Allein zu seinem Eigenschutz kann dem Arbeitnehmer keine Impfung mittelbar aufgezwungen werden. Etwas Anderes ergäbe sich in dem Fall, in dem ein Außendienstmitarbeiter Länder betreut, die einen Impfnachweis bei der Einreise einfordern. Die Impfung wäre hier zwangsläufig unabdingbare Voraussetzung für die Fortführung der arbeitsvertraglichen Tätigkeit und begründete deshalb eine Impfobliegenheit. Als weiterer Voraussetzung der Impfobliegenheit dürfen andere Hygienemaßnahmen nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht ausreichend Schutz bieten. Dies wäre entweder in Bereichen der Fall, in denen bestimmte Hygienemaßnahmen, insbesondere Abstands- und Maskenregeln, nicht eingehalten werden können (z.B. in der Kinderbetreuung, in Teilen des Schulbetriebs und bei ärztlichen Behandlungen) oder sich als nicht ausreichend erwiesen haben (z.B. Pflege- und Betreuungseinrichtungen). Da auf Seiten des Arbeitnehmers das gewichtige Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit betroffen ist, ist schließlich bei der Abwägung zu berücksichtigen, ob im Rahmen der Tätigkeit Kontakt zu Mitgliedern von vulnerablen Gruppen besteht, für deren Gesundheit der Arbeitgeber (z.B. ein Altersheim- oder Krankenhausbetreiber sowie sonstige medizinische Einrichtungen) in besonderem Maße Verantwortung trägt. Soweit Kinder betreut werden, die zur Risikogruppe gehören, liegt diese Voraussetzung auch im Bereich der Kinderbetreuung vor. Hier können wohl selbst regelmäßige Testungen innerhalb des Personals nicht alle potenziellen Virusübertragungen verhindern. Aufgrund der wesentlich höheren Letalitätsrate mit steigendem Alter oder bei Vorerkrankten begründet bereits die Vermeidung von einigen wenigen Infektionen ein erhebliches Interesse des Arbeitgebers an einer Impfung des Arbeitnehmers. Hinzu kommt das mittelbar berücksichtigte überragend wichtige Gesellschaftsinteresse an der Aufrechterhaltung eines leistungsfähigen Gesundheits- und Pflegesystems, wodurch es ausnahmsweise abwägungserheblich ist, ob eine Infektion bzw. Erkrankung des Arbeitnehmers verhindert werden kann. Insofern spricht Einiges dafür, dass im Gesundheits-und Pflegesektor regelmäßig eine Impfobliegenheit durch den Arbeitgeber begründet werden kann und das Recht der Arbeitnehmer auf körperliche Unversehrtheit ausnahmsweise zurücktreten muss. Etwas Anderes gilt indes dann, wenn insbesondere in Altenheimen bereits sämtliche Bewohner zuvor geimpft wurden. In diesem Fall würde die Impfung des Arbeitnehmers allein dem Eigenschutz und der Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit des Pflegesystems dienen, was nicht ausreichend wäre.
Folgen der verweigerten Impfobliegenheit
Verweigert ein Arbeitnehmer die Impfung oder deren Nachweis, fehlt ihm die Eignung zur Erbringung der Arbeitsleitung in den angesprochenen Einrichtungen oder Situationen. Sofern ihm kein anderer Arbeitsplatz zugewiesen werden kann, ist davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer von seiner Arbeitspflicht faktisch freigestellt wird und gleichzeitig sein Vergütungsanspruch entfällt. Sollte die Impfung langfristig für die Tätigkeit erforderlich sein und bleiben, liefe dies auf eine personenbedingte Kündigung hinaus, wobei der Arbeitnehmer zuvor durch eine Abmahnung auf die Folgen einer fortdauernden verweigerten Impfung hingewiesen werden muss.
Impfprämien
Anstatt die Arbeitnehmer einseitig zur Impfung anzuweisen und damit unter Druck zu setzen, bieten sich Impfprämien als geeignete Mittel zur Incentivierung an, obwohl im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Maßregelungsverbot aus § 612a BGB noch nicht abschließend geklärt ist, ob solche Prämien zulässig sind. Begreift man die Impfprämie aber als eine Art „Erschwerniszulage“, spricht dies gegen eine Ungleichbehandlung und sollte insbesondere vor dem Hintergrund der besonderen Corona-Krisenlage ein zulässiges Mittel des Arbeitgebers sein.
Mitbestimmung Betriebsrat
Sowohl bei der Incentivierung als auch bei der Einführung einer Impfobliegenheit muss der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates beachten.