Schwerbehinderung
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Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung – Vorzeitiges Ende bei Unterschreiten der Schwelle?

Am nächsten Mittwoch wird das BAG über die Fortdauer der Amtszeit einer Schwerbehindertenvertretung nach dem Absinken der Anzahl der schwerbehinderten Mitarbeitenden in einem Betrieb unter die Zahl von fünf entscheiden (Az. 7 ABR 27/21; Vorinstanz LAG Köln, Beschluss vom 31. August 2021, 4 TaBV 19/21). Dies gibt Anlass für einen kurzen Überblick über Bildung und Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung sowie die zweitinstanzliche Entscheidung.

1. BILDUNG DER SCHWERBEHINDERTENVERTRETUNG

In Betrieben, in denen wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind, werden eine Vertrauensperson und mindestens ein stellvertretendes Mitglied gewählt.

Wahlberechtigt sind alle in dem Betrieb beschäftigten schwerbehinderten Menschen, während wählbar alle in dem Betrieb nicht nur vorübergehend Beschäftigten über 18 Jahren sind, die dem Betrieb seit sechs Monaten angehören.

Ähnlich den Betriebsratswahlen wird auch die Schwerbehindertenvertretung alle vier Jahre gewählt (zwischen 1. Oktober und 30. November). Außerhalb dieser Zeit finden Wahlen nur statt, wenn das Amt der Schwerbehindertenvertretung vorzeitig erlischt und kein stellvertretendes Mitglied nachrückt, die Wahl mit Erfolg angefochten wurde oder eine Schwerbehindertenvertretung noch nicht gewählt ist. Die Amtszeit beträgt vier Jahre. Das Amt der Vertrauensperson endet nur dann vorzeitig, wenn die Vertrauensperson es niederlegt, aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet oder die Wählbarkeit verliert.

2. AUFGABEN DER SCHWERBEHINDERTENVERTRETUNG

Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung sind insbesondere die Förderung der Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb, die Vertretung der Interessen im Betrieb sowie die Beratung und Unterstützung. Insbesondere soll die Schwerbehindertenvertretung die Einhaltung der Vorschriften zugunsten der schwerbehinderten Menschen überwachen, Maßnahmen beantragen, die den Schwerbehinderten dienen, sowie Anregungen und Beschwerden von schwerbehinderten Arbeitnehmenden übermitteln und ggf. umsetzen.

Bei Entscheidungen des Arbeitgebers, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen in dem Betrieb als Gruppe betreffen, ist die Schwerbehindertenvertretung unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor der Entscheidung anzuhören.

Besondere Bedeutung erlangt die Schwerbehindertenvertretung bei der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen. Denn diese ist unwirksam, wenn sie ohne eine entsprechende Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausgesprochen wurde.

3. DER ZU ENTSCHEIDENDE FALL

In dem nun zur Entscheidung anstehenden Fall hat das BAG über die Auswirkungen des Absinkens der Anzahl der schwerbehinderten Arbeitnehmenden in einem Betrieb unter die Zahl von fünf zu befinden. Konkret geht es um die Frage, ob die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung in diesem Fall fortdauert oder mit diesem Ereignis endet.

Im Mittelpunkt der Entscheidung steht Betrieb A der Arbeitgeberin mit ca. 120 Arbeitnehmenden. In diesem wurde im Jahr 2019 eine Schwerbehindertenvertretung gewählt. Zum 1. August 2020 sank die Zahl der schwerbehinderten Arbeitnehmenden unter die für die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung maßgebliche Zahl von fünf auf vier ab. Die Arbeitgeberin war der Ansicht, dass ab diesem Zeitpunkt die Schwerbehindertenvertretung in Betrieb A nicht mehr bestehe und die schwerbehinderten Arbeitnehmenden des Betriebs A wie auch in der Vergangenheit bereits wieder von der Schwerbehindertenvertretung des Betriebs B mitbetreut würden.

Die Schwerbehindertenvertretung des Betriebs A machte ihren Fortbestand über den 1. August 2020 hinaus gerichtlich geltend. Sie ist der Auffassung, das Absinken der Zahl der in Betrieb A beschäftigten schwerbehinderten Menschen unter den Schwellenwert wirke sich für die Dauer der gesetzlichen Amtszeit von vier Jahren nicht auf die Existenz der Schwerbehindertenvertretung aus. Es [...]

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EuGH-Urteil: Erweiterter Schutz für Schwerbehinderte – oder neue Hürde für die Einstellung?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 10. Februar 2022 (Az. C-485/20) den Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung zusätzlich gestärkt und sich für erweiterten Schutz ausgesprochen, der bereits während der Probezeit bestehen soll. Demnach sollen Arbeitgeber bei Kündigungen von Menschen mit Behinderung – auch während der Probezeit – künftig prüfen müssen, ob der oder die Arbeitnehmende auch auf einer anderen freien Stelle im Unternehmen weiterbeschäftigt werden kann. Dies könnte auch auf das deutsche Arbeitsrecht nicht unerhebliche Auswirkung haben.

1. HINTERGRUND

Schwerbehinderte Arbeitnehmende werden in den meisten Rechtsordnungen und auch im deutschen Kündigungsschutzrecht besonders geschützt. Auf europäischer Ebene legt etwa die Richtlinie 2008/78/EG einen allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf fest. Danach sind u.a. „angemessene Vorkehrungen“ zu treffen, um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten.

In Deutschland ist zusätzlich zu den allgemeinen Kündigungsschutzvorschriften etwa eine vorherige Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung erforderlich. Diese wird nur erteilt, wenn kein Zusammenhang zwischen der Kündigung und der Schwerbehinderung besteht. Der Zustimmungsvorbehalt gilt aber grundsätzlich nicht während der Probezeit. In dieser Zeit sollen sich die Arbeitsvertragsparteien kennenlernen und sich ohne große Hindernisse wieder aus dem Arbeitsverhältnis lösen können. Dies soll auch – und gerade auch – für Schwerbehinderte gelten, um die Hürde für die Einstellung von schwerbehinderten Arbeitnehmenden abzusenken.

In Belgien hatte sich nun ein Gericht mit der Frage auseinanderzusetzen, wie Arbeitgeber damit umzugehen haben, wenn bei Arbeitnehmenden während der Probezeit eine Schwerbehinderung erkannt wird und die vertraglich geschuldete Tätigkeit aus diesem Grund nicht mehr ausgeübt werden kann.

Nach aktuell geltendem deutschen Recht könnte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis durch eine Probezeitkündigung nach Mitteilung an das Integrationsamt ohne weitere Voraussetzungen kündigen.

2. DER SACHVERHALT

In dem vom EuGH zu entscheidenden Fall wurde bei einem Facharbeiter für die Wartung und Instandhaltung von Schienenwegen noch während seiner Probezeit ein Herzproblem diagnostiziert, woraufhin er einen Herzschrittmacher erhielt. Da das Gerät sensibel auf elektromagnetische Felder reagierte, welche z.B. in Gleisanlagen auftreten, wurde der Kläger aufgrund seiner Behinderung für ungeeignet erklärt, die Funktionen, für die er ursprünglich eingestellt worden war, zu erfüllen. Zunächst wurde er innerhalb des Unternehmens als Lagerist weiterbeschäftigt.

Letztlich hat der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis jedoch beendet, da es dem Arbeitnehmer endgültig völlig unmöglich war, die Aufgaben zu erfüllen, für die er eingestellt worden war. Dagegen ist der Arbeitnehmer vorgegangen.

Der belgische Staatsrat („Conseil d’État“), der mit dem Fall betraut war, hat das Verfahren ausgesetzt und den EuGH um Erläuterungen zur Auslegung der Richtlinie für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG), insbesondere zur Auslegung des Begriffs „angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung“, ersucht. Konkret wollte der belgische Staatsrat wissen, ob daraus für den Arbeitgeber eine Verpflichtung hervorgeht, die Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz im Unternehmen anzubieten.

3. DAS URTEIL DES EUGH

Mit Urteil vom 10. Februar 2022 entschied der EuGH nun, dass der Begriff der „angemessenen Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung“ dahin zu verstehen sei, dass Arbeitnehmende mit Behinderung auf einer anderen Stelle einzusetzen sind, für die sie die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweisen, [...]

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