1. GEGENSTAND DER IMPFPFLICHT
Durch erneute Anpassung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) am 10. Dezember 2021 besteht nun gem. § 20a IfSG ab dem 15 März 2022 eine einrichtungsbezogene Impfpflicht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kliniken, Pflegeheimen, Arzt- und Zahnarztpraxen, Rettungs- und Pflegediensten, Geburtshäusern und anderen medizinisch-pflegerischen Einrichtungen. Gem. § 20a Abs. 3 Satz 4 und 5 i.V.m Abs. 2, 1 IfSG dürfen Arbeitnehmende, die weder einen Impf- noch einen Genesenennachweis oder aber ein ärztliches Zeugnis über eine medizinische Kontraindikation gegen eine Corona-Schutzimpfung vorweisen können, nicht beschäftigt werden. Nachweise, die ab dem 16. März 2022 durch Zeitablauf ihre Gültigkeit verlieren, müssen zudem innerhalb eines Monats nach Ablauf der Gültigkeit durch Vorlage eines gültigen Nachweises ersetzt werden. Letztlich werden hierdurch erneut die Unternehmen gleichsam in die Pflicht genommen. Sie müssen nicht nur Meldung an die zuständigen Gesundheitsbehörden machen, wenn Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit der vorgelegten Nachweise bestehen, sondern dürfen zugleich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne entsprechenden Nachweis nicht tätig werden lassen. Die Regelung gilt zunächst befristet bis Ende 2022.
Für die arbeitsrechtliche Praxis stellt sich hieraus insbesondere die Frage, wie Unternehmen auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer reagieren können, die bis zum Stichtag keinen Nachweis erbringen.
2. KONSEQUENZEN BEI FEHLENDEM NACHWEIS
Zunächst ist klar: Unternehmen dürfen Arbeitnehmende, die einen Nachweis über ihren Impf- oder Genesenenstatus oder aber ein ärztliches Attest über eine Kontraindikation nicht vorlegen, in ihrer Einrichtung nicht tätig werden lassen. Ein Verstoß stellt sowohl für Unternehmen als auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine bußgeldbewährte Ordnungswidrigkeit dar, die mit Bußgeldern in Höhe von bis zu EUR 25.000,00 je Einzelfall geahndet werden kann.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nicht beschäftigt werden dürfen, verlieren zugleich ihren Anspruch auf Arbeitsentgelt. Es gilt auch hier der Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“.
Darüber hinaus kommen arbeitsrechtliche Sanktionen in Betracht. Zunächst kann man eine Abmahnung in Erwägung ziehen. Allerdings wäre eine solche zum einen zur Vorbereitung einer verhaltensbedingten Kündigung wohl entbehrlich. Arbeitnehmende wissen nun bereits seit Dezember 2021, dass sie ab dem 16. März 2022 nicht mehr beschäftigt werden dürfen, wenn sie nicht einen der oben beschriebenen Nachweise vorlegen können. Letztlich liegt der Grund dafür, dass die Arbeitsleistung nicht angeboten bzw. angenommen werden kann, auch nur mittelbar im Verhalten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Insofern käme vorliegend im Ergebnis gar keine verhaltensbedingte, sondern eine personenbedingte Kündigung in Betracht. Der Grund für den Ausspruch der Kündigung liegt in dem Umstand, dass Arbeitnehmende nicht die gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Arbeitsleistungserbringung vorweisen können. Insofern ist die Konstellation mit der Situation vergleichbar, dass Berufskraftfahrer:innen ihre Fahrerlaubnis verlieren oder gar nicht erst erworben haben. In einem solchen Fall geht die Rechtsprechung von einem personenbedingten Kündigungsgrund aus, der an sich sogar geeignet ist, den Ausspruch einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung zu rechtfertigen. Eine Ausnahme gilt allenfalls, wenn es sich um eine nur kurzfristige Entziehung handelt, deren Dauer bspw. durch noch nicht in Anspruch genommenen Urlaub überbrückt werden kann. Bleibt zumindest teilweise die Erbringung von arbeitsvertraglichen Pflichten möglich, ist zudem grds. nur der Ausspruch einer ordentlichen Kündigung gerechtfertigt. Wenn hingegen gar keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besteht, ist es Unternehmen in der Regel nicht zumutbar, die ordentliche Kündigungsfrist oder aber die Zeit bis zur (Wieder-)Erlangung der zwingend notwendigen Beschäftigungsvoraussetzungen abzuwarten.
Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ab dem 16. März 2022 nicht beschäftigt werden dürfen, weil sie die zwingend gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen des § 20a IfSG nicht erfüllen, können daher grds. die Voraussetzungen für den Ausspruch einer außerordentlichen personenbedingten Kündigung vorliegen. Die Verhältnismäßigkeit der Kündigung wird hierbei nicht von vornherein daran scheitern, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht zunächst nur befristet bis zum Ende des Jahres 2022 gilt. Der Überbrückungszeitraum ist insofern nicht als nur kurzfristig anzusehen. Auch eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit wird wegen der Einrichtungsbezogenheit der Impfpflicht in aller Regel vollständig ausscheiden, weil hier keine Ausnahmen für bestimmte Bereiche, z.B. die Verwaltung, gelten. Es erscheint zwar fraglich, ob Unternehmen ein Abwarten der ordentlichen Kündigungsfrist evtl. aus dem Grund zugemutet werden kann, weil den betreffenden Arbeitnehmenden in der Zwischenzeit kein Anspruch auf Arbeitsentgelt zusteht. Dieser Umstand ist in vergleichbaren Situationen jedoch regelmäßig kein Kriterium, das zur Unwirksamkeit der Kündigung führen würde. Im Einzelfall kann die rechtliche Bewertung jedoch auch anders ausfallen, bspw. wenn im Rahmen eines seit langer Zeit bestehenden Arbeitsverhältnisses die Erlangung des vollständigen Impfschutzes zwar noch nicht erreicht, jedoch kurz bevorstehen sollte.
Unternehmen haben vor Ausspruch einer Kündigung jedoch zu beachten, dass das Gesetz selbst eine Ausnahme zulässt. Gem. § 20a Abs. 3 S. 6 IfSG kann die oberste Landesgesundheitsbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle allgemeine Ausnahmen von Beschäftigungsverboten zulassen, wenn das Paul-Ehrlich-Institut auf seiner Internetseite einen Lieferengpass zu allen Impfstoffen mit einer Komponente gegen das Coronavirus SARS-CoV-2, die für das Inverkehrbringen in Deutschland zugelassen oder genehmigt sind, bekannt gemacht hat.
3. ÄRZTLICHES ZEUGNIS ÜBER KONTRAINDIKATION
Durch die gesetzlich vorgeschriebene Möglichkeit, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer statt Impf- oder Genesenennachweis auch ein ärztliches Zeugnis über eine Kontraindikation gegen eine Corona-Schutzimpfung vorlegen können, entstehen für Unternehmen auf den ersten Blick ehebliche Unsicherheiten. Allerdings gingen Arbeitsgerichte in der Vergangenheit bereits wiederholt davon aus, dass ärztliche Atteste ohne Begründung für eine Befreiung von der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes nicht hinreichend aussagekräftig seien. Im Zusammenhang mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht muss daher nach Maßgabe der Gesetzesbegründung aus dem ärztlichen Zeugnis selbst hervorgehen, dass eine Corona-Schutzimpfung bei der betroffenen Person aus medizinischen Gründen nicht möglich ist. Bei Zweifeln an der inhaltlichen Richtigkeit, haben Unternehmen zudem unverzüglich das zuständige Gesundheitsamt zu informieren und hierbei auch die personenbezogenen Daten mitzuteilen, das dann weitere Ermittlungen und/oder Maßnahmen einleitet. Bis zur endgültigen Entscheidung durch das Gesundheitsamt ist Unternehmen dringend geraten, die betreffenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht in ihren Einrichtungen tätig werden zu lassen.