Kündigungsrecht
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Betriebsbedingter Kündigung – Vermutungswirkung bei Insolvenz

In einer aktuellen Entscheidung hat das BAG festgestellt, dass die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch dann eingreift, wenn bis zu einem anvisierten Stilllegungszeitpunkt noch viel Zeit vergeht und für ein Unternehmen in der Zwischenzeit – anders als prognostiziert – doch ein Erwerber gefunden wird (BAG, Urteil vom 17. August 2023 – 6 AZR 56/23, PM). Denn im Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs muss sich die Betriebsänderung noch in der Planungsphase befinden, damit dem Betriebsrat entsprechend dem Zweck des § 111 BetrVG eine Einflussnahme auf die unternehmerische Entscheidung möglich ist.

1. SACHVERHALT

Der Entscheidung lag eine Klage eines seit 2011 bei der Insolvenzschuldnerin, einem Unternehmen der Stahlindustrie, angestellten Arbeitnehmers zu Grunde. Der Kläger wandte sich gegen eine von dem Insolvenzverwalter ausgesprochene Kündigung. Vor dem Hintergrund, dass keine annahmefähigen Kaufangebote für die Betriebe der Insolvenzschuldnerin vorgelegen hatten, hatte der Insolvenzverwalter mit dem bei der Insolvenzschuldnerin bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich wegen einer geplanten Betriebsstillegung geschlossen. Der Interessenausgleich beinhaltete insgesamt drei verschiedenen Namenslisten, auf denen alle Beschäftigten der Insolvenzschuldnerin genannt waren. Der Kläger war auf der zweiten Liste namentlich geführt, die eine Beendigung der Arbeitsverhältnisse nach Ablauf eines Zeitraums für die Ausproduktion vorsah. Bei der Ausproduktion wird im insolventen Betrieb das noch vorhandene Potential (Know-how, Aufträge, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, Halbfertigwaren) im Rahmen der Abwicklung genutzt und im Interesse der Gläubiger wertschöpfend verwertet. Nach Unterzeichnung des Interessenausgleichs kündigte der Insolvenzverwalter daher das Arbeitsverhältnis des Klägers betriebsbedingt mit Schreiben vom 29. Juni 2020 mit Wirkung zum 31. Mai 2021. Im weiteren Verlauf wurden anschließend doch noch Teile des Betriebs der Insolvenzschuldnerin durch Kaufvertrag vom 22. Februar 222 an einen vormaligen Hauptkunden veräußert.

2. RECHTLICHER RAHMEN

Gem. § 111 Abs. 1 S. 1 BetrVG muss in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern der Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend unterrichtet und die geplanten Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat beraten werden. Dabei bedeutet rechtzeitig, dass die Unterrichtung und Beratung noch Einfluss auf die Gestaltung der Betriebsänderung nehmen können.

Über eine geplante Betriebsänderung soll gem. § 112 BetrVG zwischen den Betriebsparteien zudem ein Interessenausgleich geschlossen werden, der das „Ob“ und das „Wie“ der Betriebsänderung regelt. Der Betriebsrat kann den Abschluss eines Interessenausgleichs – anders als den eines Sozialplans – jedoch nicht erzwingen. Kommt ein solcher nicht zustande, können Beschäftigte allerdings ggf. individuell Nachteilsausgleichsansprüche geltend machen.

Im Rahmen eines solchen Interessenausgleichs können die Betriebsparteien unter anderem auch diejenigen Beschäftigten in einer Liste namentlich benennen, die bei der Durchführung der Betriebsänderung entlassen werden sollen. Eine solche Namensliste hat erhebliche individualrechtliche Bedeutung, indem durch sie die Betriebsbedingtheit der Kündigung nach § 1 Abs. 5 KSchG vermutet und der Prüfungsmaßstab bei der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt wird. Eine entsprechende Regelung sieht § 125 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO auch für den Fall vor, dass im Zusammenhang mit einer Insolvenz eine Betriebsänderung geplant ist und ein Interessenausgleich mit Namensliste geschlossen wird.

3. ENTSCHEIDUNG

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hatte in der Vorinstanz [...]

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Kündigungsgrund: WhatsApp-Nachricht – Bundesarbeitsgericht (BAG) erteilt pauschaler Vertraulichkeitserwartung eine Absage

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in einer aktuellen Entscheidung (BAG, Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23, PM) damit auseinander zu setzen, inwiefern Äußerungen, die in privaten WhatsApp-Chatgruppen getätigt wurden, einen Grund für den Ausspruch einer (außerordentlich fristlosen) Kündigung darstellen können.

1. SACHVERHALT
Der Entscheidung lag eine Kündigungsschutzklage eines Arbeitnehmers gegen die Kündigung durch seine Arbeitgeberin, eine deutsche Fluggesellschaft, zu Grunde. Der Kläger war seit 2014 Mitglied in einer WhatsApp-Gruppe mit fünf weiteren Beschäftigten der Beklagten. Im November 2020 trat zudem ein ehemaliger Kollege als Mitglied der Gruppe bei. Die Mitglieder der WhatsApp-Gruppe waren seit Jahren befreundet, zwei der Personen waren miteinander verwandt. In der WhatsApp-Gruppe wurden rein private Themen diskutiert, aber darüber hinaus wurden auch teils stark beleidigende, sexistische und zu Gewalt aufstachelnde Äußerungen über Vorgesetzte und andere Beschäftigte der Beklagten getätigt. Als die Beklagte hiervon zufällig Kenntnis erlangte, kündigte Sie den Kläger außerordentlich und fristlos.

2. ENTSCHEIDUNG DES BAG
Der Kündigungsschutzklage des Klägers hatte zunächst in den Vorinstanzen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hatte einen Kündigungsgrund wegen einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung des Klägers in Bezug auf die von ihm verfassten Mitteilungen abgelehnt.

Die Revision der Beklagten hatte hingegen nun vor dem BAG Erfolg. Das BAG urteilte, dass der Kläger im vorliegenden Fall nicht berechtigterweise erwarten konnte, dass die Äußerungen in dem Gruppenchat vertraulich bleiben und nicht an Dritte weitergeben werden. Eine solche Vertraulichkeitserwartung ist nach Ansicht des BAG vielmehr nur dann ausnahmsweise berechtigt. wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeits-rechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Kriterien hierfür sind der Inhalt der ausgetauschten Nachrichten, die (sich ändernde) personelle Zusammensetzung und die Größe einer Chatgruppe. Aber auch die Beteiligung der einzelnen Chat-Mitglieder und das gewählte Medium sind zu berücksichtigen. Soweit in Gruppenchats beleidigende oder menschenverachtende Äußerungen getätigt werden, bedarf es dann einer besonderen Darlegung, warum die Chatmitglieder erwarten konnten, dass der Inhalt ihrer Nachrichten dennoch vertraulich bleibt. Welche Anforderungen hieran zu stellen sind, ist der Pressemitteilung des BAG nicht zu entnehmen. Die allgemeinen Ausführungen der Vorinstanz zu den langjährigen Freundschaften und dem engen persönlichen Verhältnis zwischen den Chatmitgliedern sowie der Ende-zu-Ende Verschlüsselung des gewählten Kommunikationsmediums, wodurch ein Einsehen der Nachrichten durch Außenstehende verhindert wurde, genügten dem BAG jedenfalls nicht. Gelingt es danach nicht, solche besonderen Umstände darzulegen, die ausnahmsweise eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung begründen, können bekannt gewordene beleidigende und menschenverachtende Äußerungen eine fristlose Kündigung rechtfertigen.

Ob die Kündigung im konkreten Fall demnach gerechtfertigt war oder nicht, konnte das BAG nicht abschließend entscheiden. Es hat die Sache vielmehr an das LAG zurückverwiesen. Dieses muss dem Kläger nun Gelegenheit geben, darzulegen, warum er unter Berücksichtigung der oben dargestellten Kriterien ggf. eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.

3. KONSEQUENZEN
Mit der Entscheidung stellt das BAG klar, dass auch Äußerungen von Beschäftigten mit Bezug zum Arbeitsverhältnis im privaten Umfeld arbeitsrechtliche Konsequenzen haben können. Damit hat das BAG zugleich auch Vorgaben für die Behandlung der in den letzten Jahren viel diskutierten „Social-Media Fällen“ gegeben. Beleidigende Äußerungen können hierbei unabhängig vom gewählten Medium und der Frage, ob sie „öffentlich“ oder „privat“ [...]

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