Update Whistleblowing: Das Hinweisgeberschutzgesetz kommt

Von und am Mai 22, 2023

„Was lange währt, wird endlich gut“ – dies dürfte zumindest eingeschränkt für das verabschiedete Hinweisgeberschutzgesetz gelten. Nachdem der Bundestag Ende 2022 mit ohnehin schon etwa einjähriger Verspätung einen Entwurf des Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Hinweisgeberschutzgesetz) verabschiedet hatte, verzögerte sich das Gesetzgebungsverfahren weiter aufgrund der verweigerten Zustimmung des Bundesrats vom 10. Februar 2023. Mit Beschluss vom 11. bzw. 12. Mai 2023 haben Bundestag und Bundesrat nun den vom Vermittlungsausschuss vorgeschlagenen Kompromiss auf den Weg gebracht.

Zwar steht die Ausfertigung des Gesetzes noch aus. Diese dürfte aber in Kürze zu erwarten sein, sodass das Hinweisgeberschutzgesetz aller Voraussicht nach in wenigen Wochen in Kraft treten dürfte.

Auch wenn das Hinweisgeberschutzgesetz große Herausforderungen für Unternehmen mit sich bringt, schafft die vermittelte Fassung zumindest eine Verbesserung wesentlicher Kritikpunkte. Auf Grundlage des geänderten Entwurfs sind weder anonymen Meldungen zu ermöglichen noch immateriellen Schäden zu ersetzen. Auch reduziert sich die maximale Bußgeldhöhe von 100.000 Euro auf die Hälfte. Welche Pflichten Unternehmen zukünftig im Einzelnen zu beachten haben, stellen wir nachfolgend dar:

1. ANWENDUNGSBEREICH
Als hinweisgebende Personen werden natürliche Personen bezeichnet, die im Vorfeld oder im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese Verstöße melden oder offenlegen. Das Gesetz sieht zur Durchsetzung der Meldungen die Einrichtung interner und externer Meldestellen vor. Dagegen soll eine Offenlegung nur unter besonderen Umständen geschützt sein.

Obwohl das Hinweisgeberschutzgesetz die europäische Richtlinie umsetzt, geht es im sachlichen Anwendungsbereich über die unionsrechtlichen Vorgaben hinaus und umfasst nicht nur Verstöße gegen das Unionsrecht. In den Schutzbereich des Gesetzes fallen beispielsweise strafrechtlich und bußgeldrelevante Verstöße, steuerrechtliche Verstöße und Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben zur Geldwäsche, Produktsicherheit, Sicherheit des Straßenverkehrs, Förderung erneuerbarer Energien, zum Umweltschutz und Verbraucherschutz. Die einzelnen Verstöße sind abschließend in § 2 Hinweisgebergesetz-E aufgezählt. In Änderung des anfänglichen Entwurfs sind nun auch Verstöße gegen die unionsrechtlichen Vorgaben zu den digitalen Märkten und Äußerungen von Beamten enthalten.

2. PFLICHTEN
Neben den externen Meldestellen, die im Wesentlichen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen, dem Bundesamt für Justiz und dem Bundeskartellamt vorgesehen sind, werden auch Unternehmen in die Pflicht genommen. Sie haben – je nach Größe des Unternehmens – interne Meldestellen einzurichten. Die Einrichtung umfasst die Betreibung von Meldekanälen, das Führen der Verfahren und die Ergreifung von Folgemaßnahmen.

Grundsätzlich sollen Unternehmen mit mindestens 50 in der Regel beschäftigten Arbeitnehmern Meldestellen errichten. Beschäftigt ein Unternehmen in der Regel also weniger als 50 Arbeitnehmer, ist es grundsätzlich nicht von den Pflichten betroffen. In besonders sensiblen Bereichen, wie dem Bankwesen und dem Wertpapierhandel, besteht die Pflicht allerdings unabhängig von der Unternehmensgröße. Unternehmen mit in der Regel 50-249 Beschäftigten müssen erst bis zum 17. Dezember 2023 der Einrichtung von Meldestellen nachgekommen sein (ausgenommen sind sog. sensible Bereiche). Ihnen wird zudem die Möglichkeit gewährt, gemeinsame Meldestellen zu errichten. Dies könnte insbesondere bei einem Konzernverbund sinnvoll sein und zur Erleichterung führen. Nur große Unternehmen mit in der Regel mindestens 250 Beschäftigten sind unmittelbar ab Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes ohne Umsetzungsfrist in der Pflicht und riskieren bei Nichterfüllung empfindliche Bußgelder. Wird trotz Pflicht eine interne Meldestelle nicht eingerichtet oder betrieben, so begründet dies mit Ablauf einer Umsetzungsfrist von sechs Monaten eine Ordnungswidrigkeit. Andere Verletzungen, wie Repressalien zu Lasten geschützter Personen, sind unmittelbar ordnungswidrig.

Entgegen zwischenzeitlichen Planungen müssen Unternehmen bei der Einrichtung der Meldestelle keine anonymen Meldungen ermöglichen. Sowohl interne als auch externe Meldestellen dürfen grundsätzlich so ausgestaltet sein, dass eine anonyme Meldung nicht abgegeben werden kann. Wird eine anonyme Meldung (freiwillig) zugelassen, sollen anonyme Meldungen indes auch bearbeitet werden.

Als weitere Pflicht wird die Dokumentation der Meldung (auch bei telefonischer Meldung) verlangt. Die schriftliche Fixierung ist nicht nur vorgeschrieben, sondern auch unbedingt zu empfehlen, um die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens nachweisen zu können. Die Dokumentation ist zwei Jahre nach Abschluss des Verfahrens aufzubewahren, kann unter Umständen auch länger aufbewahrt werden.

3. VERFAHREN UND FOLGEN
Das Verfahren läuft wie folgt ab: Nach Erhalt einer Meldung hat die interne Meldestelle der hinweisgebenden Person den Eingang binnen sieben Tagen zu bestätigen. Nach Prüfung, ob ein Verstoß im Sinne des Katalogs des Gesetzes vorliegt, prüft die Meldestelle die Stichhaltigkeit der Meldung. Dazu steht sie im ständigen Austausch mit der hinweisgebenden Person und erfragt ggf. weitere Informationen. Zum Abschluss des Verfahrens ergreift die Meldestelle eine Folgemaßnahme. Diese könnte unter anderem in der Einleitung eines internen Untersuchungsverfahrens oder in der Verweisung an eine andere Stelle liegen, aber auch die Einstellung des Verfahrens aus Mangel an Beweisen. Innerhalb von drei Monaten ab Eingangsbestätigung der Meldung informiert die Meldestelle die hinweisgebende Person über die getroffenen Folgemaßnahmen und die Gründe dieser Entscheidung.

Verpflichtete Unternehmen sollen Anreize für die vorrangige Inanspruchnahme interner Meldestellen schaffen sowie klare und leicht zugängliche Informationen über die Nutzung des internen Meldeverfahrens bereitstellen, um den Beschäftigten die Benutzung zu erleichtern und Ressourcen externer Stellen zu schonen. Wie entsprechende Anreize ausgestaltet werden könnten, lässt das Gesetz bewusst offen.

Hinweisgebende Personen dürfen nicht von Repressalien betroffen werden. Insofern gilt eine Beweislastumkehr dahingehend, dass das Vorliegen einer Repressalie vermutet wird, wenn die hinweisgebende Person eine Benachteiligung nach erfolgter Meldung oder Offenlegung geltend macht. Der Arbeitgeber hat in diesem Fall zu beweisen, dass die Benachteiligung nicht im Zusammenhang mit der Meldung steht.

Werden Repressalien festgestellt, begeht der Arbeitgeber eine Ordnungswidrigkeit und ist einem Bußgeld von bis zu 50.000 Euro ausgesetzt. Darüber hinaus macht er sich schadensersatzpflichtig. Entgegen dem vorherigen Entwurf sind nur materielle Schäden, keine immateriellen Schäden (z.B. Schmerzensgeld) zu ersetzen.

Handelt es sich allerdings um eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Falschmeldung der hinweisgebenden Person, ist diese zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet.

4. MITBESTIMMUNGSRECHT DES BETRIEBSRATS
Besteht im Unternehmen ein Betriebsrat, so stellt sich die Frage nach dessen Beteiligungsrechten. Zwar berührt die Errichtung von Meldestellen die Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Mitarbeiter im Betrieb und würde daher ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auslösen. Je nach Ausgestaltung der Meldekanäle könnte es darüber hinaus zu Beteiligungsrechten aufgrund einer technischen Überwachungseinrichtung kommen. Allerdings scheidet ein Mitbestimmungsrecht immer dann aus, wenn sich der Arbeitgeber im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bewegt und lediglich seiner gesetzlichen Verpflichtung nachkommt. Möchte der Arbeitgeber aber über die gesetzlichen Regelungen hinausgehen, bedarf es einer Beteiligung des Betriebsrates. Darüber hinaus steht es ihm frei, den Betriebsrat aus freien Stücken zu beteiligen und eine freiwillige Betriebsvereinbarung abzuschließen. Insofern ist aber stets die umfassende Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben sowie die rechtzeitige Errichtung im Blick zu behalten, um keine Bußgelder zu riskieren.

Philipp Schäuble
Dr. Philipp Schäuble berät nationale und internationale Unternehmen u.a. aus dem Life Sciences-Bereich, der Automobilbranche, der Baubranche, der Personaldienstleisterbranche sowie dem Finanz- und Verlagswesen zu sämtlichen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.


Lisa Scheipers
Der Tätigkeitsschwerpunkt von Lisa Scheipers liegt im Bereich Arbeitsrecht. Vor ihrer Anstellung bei McDermott sammelte Frau Scheipers als wissenschaftliche Mitarbeiterin wertvolle Erfahrungen bei einer internationalen Wirtschaftskanzlei in den Bereichen Intellectual Property und Patentrecht. Die Anwalts- und Wahlstation des Rechtsreferendariats absolvierte Sie bei McDermott im Bereich Arbeitsrecht.

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