Tarifrecht
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Gerichtliche „Anpassung nach oben“ verletzt Tarifautonomie

Dürfen die Arbeitsgerichte die zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vereinbarten Tarifverträge korrigieren? Diese Frage hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 11. Dezember 2024 zu Recht verneint.

Das BVerfG hat zwei Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aufgehoben, die eine solche „Korrektur nach oben“ vorgenommen hatten. Den Urteilen lag jeweils folgender Sachverhalt zugrunde: Nachtschichtarbeiter von CocaCola sowie einer Hamburger Brauerei verklagten ihre Arbeitgeber, um höhere Zuschläge zu erhalten. In den Tarifverträgen der Unternehmen wurden Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit unterschiedlich behandelt. Die Tarifverträge sahen für Nachtarbeit einen Zuschlag von 50% vor, während Nachtschichtarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer einen Zuschlag in Höhe von 25 % erhielten. Das BAG sah in dieser Regelung einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. Es stellte sich auf den Standpunkt, dass eine gleichheitswidrige Schlechterbehandlung von Nachtschichtarbeitnehmerinnen und – arbeitnehmern gegenüber solchen Arbeitnehmern vorliege, die außerhalb von Schichtsystemen Nachtarbeit leisten. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung läge nicht vor, weshalb eine rückwirkende Erhöhung der Zuschläge für Nachtschichtarbeit anzuordnen sei.

Das BVerfG sieht in den Entscheidungen des BAGs eine Verletzung der beschwerdeführenden Arbeitgeberinnen in ihre Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG). Die Auslegung des BAGs, dass eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes dazu führe, dass die tariflichen Zuschlagsregelungen für Nachtarbeit sowohl für Nachtarbeit als auch für Nachtschichtarbeit Anwendung fänden („Anpassung nach oben“), berücksichtigt die – ebenfalls durch das GG geschützte – Koalitionsfreiheit nicht in verfassungsrechtlich zutreffender Weise. Karlsruhe erkennt zwar an, dass die in kollektiver Privatautonomie handelnden Tarifvertragsparteien bei der Tarifnormsetzung den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG beachten müssen. Dennoch habe das BAG bei der Prüfung der Tarifverträge die Bedeutung der Tarifautonomie aus Art. 9 Abs. 3 GG weder in seiner Reichweite noch in Bezug auf die Folgen seiner Verletzung ausreichend beachtet.

Das BVerfG betont den weiten Gestaltungsspielraum, den die Tarifautonomie den Tarifparteien bei der Regelung von Arbeitsbedingungen zuweise. Die gerichtliche Überprüfung sei daher darauf begrenzt, diesen Spielraum nur bei willkürlichen Differenzierungen einzuschränken. Die unterschiedliche Behandlung von Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit bewege sich noch in den Tarifparteien zugewiesenen Gestaltungsspielraum, da die unterschiedliche Behandlung dadurch sachlich zu rechtfertigen sei, dass diese auf unterschiedlichen sozialen Belastungen und der Planbarkeit der Arbeitszeiten beruhe. Diese Zwecksetzungen seien laut dem ersten Senat vom grundrechtlich geschützten Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien erfasst.

Zudem sei Teil der zwingend zu beachtenden Tarifautonomie auch die Auswahl der Mittel, um etwaige Gleichheitssatzverstöße zu korrigieren. Sobald mehr als ein Weg in Betracht komme, um eine unzulässige Ungleichbehandlung zu korrigieren, ist es Aufgabe der Tarifpartner, die Art der Korrektur auszuwählen. Es ist daher den Gerichten in diesen Fällen nicht erlaubt, anstelle der Tarifpartner selbst anzuordnen, wie die Ungleichbehandlung zu beseitigen ist, wie es das BAG mit der „Anpassung nach oben“ in den entschiedenen Fällen getan hatte. Die Fälle wurden zur neuen Entscheidung nach Erfurt zurückverwiesen.




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Update Nachweisgesetz – Künftig Textform statt Schriftform ausreichend?

Bereits seit dem 1. August 2022 gilt das „neue“ Nachweisgesetz („NachwG“), das die Arbeitgeber u.a. dazu verpflichtet, ihren Mitarbeitern eine schriftliche (= mit Originalunterschrift versehene) Niederschrift über die wesentlichen Arbeitsbedingungen auszuhändigen. Insbesondere an diesem Schriftformerfordernis gab es von Anfang an erhebliche Kritik, da die maßgebliche EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union ((EU) 2019/1152) („Richtlinie“) ein solches nicht zwingend vorsah (siehe hierzu bereits den Blog-Eintrag vom 24. Juni 2022).

Das Bundeskabinett hatte sich am 13. März 2024 über den Entwurf „eines Vierten Gesetzes zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft sowie der Verwaltung von Bürokratie“ (BEG IV) geeinigt und reagierte damit auch auf die Kritik am strengen Schriftformerfordernis des NachwG: Der Kabinettsentwurf sieht vor, dass künftig ein in elektronischer Form im Sinne des § 126a BGB (= qualifiziert elektronisch signiert) abgeschlossener Arbeitsvertrag für den erforderlichen Nachweis ausreichen solle. Nun aber überraschte der Bundesjustizminister mit einem Rundschreiben vom 21. März 2024. Danach solle in Zukunft die einfache Textform (z.B. eine E-Mail) genügen, um Mitarbeitern den erforderlichen Nachweis über die wesentlichen Arbeitsbedingungen zur Verfügung zu stellen.

Ob, wann und wie diese Anpassung des NachwG erfolgt, ist offen. Laut des Rundschreibens soll eine Niederschrift jedoch weiterhin in Schriftform notwendig sein, sofern Mitarbeiter eine solche einfordern sollten. Auch deshalb ist fraglich, ob es sich tatsächlich um einen „großen Wurf“ der Entbürokratisierung handelt. Selbst wenn, würde lediglich eine bürokratische Hürde gesenkt werden, die erst im August 2022 eingeführt worden ist.

1. Keine Auswirkungen auf den Abschluss von Arbeitsverträgen

Entgegen manch erster Einschätzung zu dem Rundschreiben des Bundesjustizministers würde sich an den Formvorgaben für den Abschluss eines Arbeitsvertrages nichts ändern. Der Abschluss eines Arbeitsvertrages bedarf weiterhin grundsätzlich keiner Form. Dieser konnte bisher schon mündlich oder einfach per E-Mail geschlossen werden.

Schon bislang gab es Kritiker, die angesichts der Formfreiheit des Arbeitsvertrages selbst an der Verhältnismäßigkeit des Schriftformerfordernisses für den Nachweis der wesentlichen Arbeitsbedingungen zweifelten. Ein (Schrift-)Formerfordernis hat u.a. eine Beweis- und Dokumentationsfunktion. Wenn der Gesetzgeber nicht einmal eine Dokumentationsfunktion für den Abschluss des Arbeitsvertrages selbst für notwendig erachtet, ist fraglich, wieso der bloße Nachweis der Vertragsbedingungen einer strengeren Form unterliegen können soll.

2. Besondere Schriftformerfordernisse bleiben unberührt

Unabhängig davon, ob und wie die Anpassung des NachwG vollzogen werden wird, wäre davon allein das Schriftformerfordernis für den Nachweis der wesentlichen Arbeitsbedingungen betroffen. Demnach wären weiterhin insbesondere die folgenden gesetzlichen Schriftformerfordernisse zu beachten:

• Kündigung und Abschluss von Aufhebungsverträgen (§ 623 BGB)
• Befristungsabreden, auch bei Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über Regelaltersgrenze hinaus (§ 14 Abs. 4 TzBfG)
• Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots (§ 74 Abs. 1 HGB)

Auch wenn sich die letzten beiden Schriftformerfordernisse allein auf die konkrete Regelung – Befristung bzw. Wettbewerbsverbot beziehen – werden befristete Arbeitsverträge und auch solche mit nachvertraglichen Wettbewerbsabreden in der Praxis in der Regel sowieso schriftlich abgeschlossen, wodurch den Anforderungen des NachwG automatisch entsprochen wird.

3. Unklare Bedeutung der geplanten weiteren Gesetzesänderung

Die ersten Reaktionen auf das Rundschreiben des Bundesjustizministers und der geplanten Absenkung des Formerfordernisses [...]

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Öffentlichmachung von Prozessakten mit sensiblen Daten als fristloser Kündigungsgrund?

Nach einem aktuellen Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 25. März 2022 (7 Sa 63/21) kann die (betriebs-)öffentliche Zugänglichmachung von Schriftsätzen aus arbeitsgerichtlichen Verfahren mittels Dropbox, in denen u.a. Gesundheitsdaten von anderen Mitarbeitern enthalten sind, sogar die außerordentliche Kündigung eines langjährig beschäftigten Mitarbeiters und Betriebsratsmitglieds rechtfertigen. Zumindest auf der Grundlage der Pressemitteilung – und in Unkenntnis der Entscheidungsgründe des vollständigen Urteils – wirft der Kündigungssachverhalt insbesondere die Frage auf, in welchen Fällen und inwieweit Mitarbeiter an das Datenschutzrecht, insbesondere nach der DSGVO, gebunden und Verstöße hiergegen als Kündigungsgrund geeignet sind.

SACHVERHALT UND ARBEITSGERICHTLICHE ENTSCHEIDUNGEN

Der gekündigte Mitarbeiter war bereits seit über 20 Jahren beim Arbeitgeber beschäftigt und über 15 Jahre Mitglied des Betriebsrats. Die außerordentliche Kündigung, der der Betriebsrat nach § 103 BetrVG zustimmte, beruht auf dem Vorwurf, dass der Mitarbeiter Schriftsätze aus einem vorherigen Kündigungsschutzverfahren zwischen den Arbeitsvertragsparteien betriebsöffentlich bzw. einem größeren Verteilerkreis mittels Dropbox zugänglich gemacht hatte. In den Schriftsätzen waren insbesondere Gesundheitsdaten weiterer Mitarbeiter unter voller Namensnennung erhalten.

In der ersten Instanz hielt das Arbeitsgericht die außerordentliche Kündigung für wirksam, weil der Mitarbeiter durch sein Verhalten gegen Bestimmungen des Datenschutzes verstoßen habe. Dagegen wandte sich der Mitarbeiter mit seiner Berufung und argumentierte, dass ein Datenschutzverstoß von vornherein ausscheide, da die DSGVO gemäß Art. 2 Abs. 2c DSGVO nicht anwendbar sei. Nach Art. 2 Abs. 2 c) DSGVO findet die DSGVO keine Anwendung auf natürliche Personen zur Ausübung ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeiten.
Das Landesarbeitsgericht wies die Berufung jedoch ab, wobei es nicht mehr auf einen Datenschutzverstoß abstellte. Der Arbeitnehmer habe, indem er die Schriftsätze durch einen beliebig weitervertreibbaren Link öffentlich zugänglich machte, eine rechtswidrige und schuldhafte Verletzung der Persönlichkeitsrechte der in den Schriftsätzen namentlich benannten Personen begangen. Dieses Verhalten könne auch nicht durch u.a. Verteidigungsinteressen des Arbeitnehmers gerechtfertigt werden.

WEN BINDET DIE DSGVO?

Wie sich aus dem zuvor genannten Art. 2 Abs. 2 c) DSGVO, der auch als „Haushaltsausnahme“ bezeichnet wird, ergibt, sind Personen bei ausschließlich persönlicher oder familiärer Tätigkeit nicht an die DSGVO gebunden. Dazu im Gegensatz stehen berufliche Tätigkeiten, die wiederum in den Anwendungsbereich des DSGVO fallen. Danach sind Verstöße gegen die DSGVO von Arbeitnehmern während ihrer arbeitsvertraglichen Tätigkeit grundsätzlich geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen.

Im vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschiedenen Fall ging es hinsichtlich der Veröffentlichung der Prozessakten offensichtlich nicht um eine Datenverarbeitung, die im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses zu Arbeitszwecken erfolgte, sondern um das – nach eigener Aussage des Mitarbeiters – Anliegen, Transparenz hinsichtlich des damaligen Kündigungssachverhalts zu schaffen. Folgerichtig hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg die Kündigung wohl auch nicht mehr auf einen potenziellen Datenschutzverstoß gestützt.

WORIN LIEGT DER MAßGEBLICHE ARBEITSRECHTLICH RELEVANTE VERSTOß?

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg stützt sich ausweislich der Pressemitteilung auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch die Veröffentlichung der Schriftsätze. Zunächst ist festzustellen, dass es keine explizite Norm gibt, wonach die Veröffentlichung von zivilrechtlichen Prozessakten untersagt ist. Gleichzeitig finden arbeitsgerichtliche Verhandlungen grundsätzlich öffentlich statt. Insofern besteht hinsichtlich der Prozessinhalte bereits keine besondere Vertraulichkeit, eher im Gegenteil. Davon abgesehen dürften Gesundheitsdaten anderer Mitarbeiter, die nicht aufgrund der konkreten Tätigkeit im Betrieb, sondern „beiläufig“ bekannt werden, nicht unmittelbar der [...]

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Bremen führt Corona-Testpflicht für Arbeitnehmer ein

Echte Corona-Testpflicht für alle Arbeitnehmer in Bremen

Die echte Testpflicht für Arbeitnehmer kommt – zumindest in Bremen. Dies hat der Bremer Senat am 4. Mai 2021 beschlossen und verschärft damit als erstes Bundesland die Vorgaben der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung des BMAS für alle Arbeitnehmer. In Bremen müssen nicht nur Arbeitgeber im Betrieb tätigen Arbeitnehmern die Tests anbieten, Arbeitnehmer sind auch zur Testung verpflichtet. Das geht über Verordnungen in anderen Ländern wie Sachsen und Berlin hinaus, die z.B. nur eine Testpflicht für Arbeitnehmer mit Kundenkontakt vorgeben. Inkrafttreten soll die Bremer Verordnung wohl am 10. Mai 2021. Spannend ist, ob andere Bundesländer dem Beispiel Bremens folgen werden. Unabhängig davon dürfte es Arbeitgebern auch ohne gesetzliche Regelungen möglich sein, per Direktionsrecht oder Betriebsvereinbarung für bestimmte Bereiche eine Testpflicht im Betrieb einzuführen.

Hier erfahren Sie mehr zu dem Beschluss des Bremer Senats.




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