Über Geld spricht man – das BAG und die EU setzen neue Maßstäbe

Gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht ist nicht nur ein rechtspolitisches Ziel, sondern über §§ 3, 7 EntgTranspG sowie Art. 157 AUEV ein verbindlicher Rechtsanspruch. Lediglich die Umsetzung dieses Anspruchs bereitet in der Praxis regelmäßig Probleme. Im Vergleich zu männlichen Beschäftigten verdienen weibliche Beschäftigte für vergleichbare Arbeit jedenfalls im Durchschnitt noch immer weniger Gehalt.

Prozessual bietet § 22 AGG Beschäftigten sowohl den Vorteil einer erleichterten Darlegungslast als auch einer Beweislastumkehr. Die klagende Partei muss danach lediglich Indizien darlegen und im Streitfall beweisen, die eine Diskriminierung wegen des Geschlechts vermuten lassen. Sodann obliegt es dem Arbeitgeber, diese Vermutung zu widerlegen.

Korrespondierend bietet das Entgelttransparenzgesetz seit 2017 Beschäftigten in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitenden einen individuellen Auskunftsanspruch. Dieser ist auf die Angabe des Medians des Vergleichsentgelts gerichtet. Auf diese Weise können Beschäftigte Informationen über Kriterien zur Entgeltfestsetzung und den Medianverdienst vergleichbarer Kolleginnen und Kollegen eines anderen Geschlechts einfordern. Praktisch ist das Benennen der korrekten Vergleichsgruppe hier aber nicht ganz einfach.

Das Ziel des Gesetzes besteht darin, Entgeltgerechtigkeit und Transparenz zu fördern, indem die Mitarbeitenden erfahren können, ob sie weniger für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit verdienen. Allerdings sieht das EntgTranspG über den Auskunftsanspruch hinaus keine eigenständigen Zahlungsansprüche vor. Insbesondere regelt das Gesetz nicht ausdrücklich die Rechtsfolgen, die Beschäftigte aus den erlangten Informationen herleiten können.

Medianwert als Maßstab

Nach der bisherigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte begründete der Umstand, dass eine Arbeitnehmerin ein geringeres Entgelt als das Medianentgelt der männlichen Vergleichsperson(en) erhält, die (widerlegbare) Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts (BAG v. 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19).

Das Medianentgelt ist der Wert, der genau in der Mitte liegt, wenn alle Zahlen der Reihe der Größe nach sortiert sind – die Hälfte ist kleiner, die andere Hälfte größer. Der Nachteil dieser Vergleichsmethode ist, dass der Medianwert die tatsächliche Entgeltstruktur nur eingeschränkt abbilden kann, da er keine Auskunft über die Spannweite oder Verteilung der Gehälter ergibt. Das führt dazu, dass erhebliche Unterschiede innerhalb einer Vergleichsgruppe hierdurch verdeckt bleiben.

BAG setzt auf Paarvergleich

Mit der Frage, ob diese Vermutungswirkung auch eintritt, wenn die betroffene Arbeitnehmerin sich nicht auf den über den Auskunftsanspruch nach § 10 EntgTranspG erlangten Medianwert bezieht, sondern auf das ihr bekannte Gehalt eines konkreten männlichen Kollegen, musste sich jüngst das Bundesarbeitsgericht befassen.

In dem vom BAG zu entscheidenden Fall hat eine Arbeitnehmerin der mittleren Führungsebene der Daimler Truck AG rückwirkend finanzielle Gleichstellung eingeklagt. Ihr Gehalt unterschritt in dem relevanten Zeitraum das jeweilige Medianentgelt beider Geschlechter in der maßgeblichen Führungsebene. Die Besonderheit des Falles: Die Betroffene orientierte sich dabei nicht an ebendiesen Medianwerten, sondern am Gehalt eines Spitzenverdieners in der Gruppe der männlichen Abteilungsleiter.

Die Vorinstanz (LAG Baden-Württemberg v. 1. Oktober 2024 – 2 Sa 14/24) gestand der Klägerin ein höheres Arbeitsentgelt zwar zu, allerdings nur in Höhe der Differenz der Medianentgelte der männlichen und weiblichen Vergleichsgruppe. Für die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung genüge es nicht, sich auf eine einzige Vergleichsperson des anderen Geschlechts zu berufen. Angesichts der Größe der männlichen Vergleichsgruppe und der Medianentgelte beider vergleichbarer Geschlechtergruppen bestehe keine überwiegende Wahrscheinlichkeit [...]

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Employer of Record – Neue fachliche Weisung der Agentur für Arbeit

Parallel zur zunehmenden Digitalisierung erfreute sich die Beschäftigung von ausländischem Personal über einen sog. Employer of Record (EoR) in der Arbeitswelt immer größerer Beliebtheit. Im Rahmen einer Anpassung ihrer fachlichen Weisungen zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) vom 15. Oktober 2024 hat die Bundesagentur für Arbeit jedoch erhebliche Risiken im Zusammenhang mit diesem Beschäftigungsmodell beschrieben, sodass Unternehmen dessen Wahl kaum mehr empfohlen werden konnte. Nach scharfer Kritik aus der juristischen Literatur hat die Bundesagentur für Arbeit nunmehr eine überraschende Kehrtwende vollzogen und ihre fachlichen Weisungen kürzlich erneut überarbeitet. Wie das EoR-Modell funktioniert und welche Bedeutung die neuerliche Anpassung der fachlichen Weisungen für die Praxis hat, erläutern wir in diesem Blog-Beitrag.

Was ist ein Employer of Record?

Wörtlich übersetzt bedeutet „Employer of Record“ so viel wie „Arbeitgeber auf dem Papier“. Rein praktisch handelt es sich dabei um ein Modell, bei dem ein ausländischer Dienstleister – meist eine Personalagentur – die formale Arbeitgeberrolle für einen ausländischen Arbeitnehmer übernimmt, der in seinem Heimatland tätig ist. Der Arbeitnehmer schließt mit dem EoR einen Arbeitsvertrag nach lokalem Recht, während die tatsächliche Arbeitsleistung vollständig remote für ein deutsches Unternehmen erbracht wird. Das deutsche Unternehmen schließt seinerseits einen Vertrag mit dem EoR und erhält hierdurch das fachliche Weisungsrecht, ohne selbst als Arbeitgeber im Ausland auftreten zu müssen.

Das ursprünglich aus dem angelsächsischen Raum stammende EoR-Modell hat sich insbesondere im Zuge der Corona-Pandemie und der zunehmenden Verbreitung von Homeoffice und digitaler Zusammenarbeit etabliert. Es richtet sich vor allem an Tätigkeiten, die ortsunabhängig erbracht werden können, etwa in der IT, im Projektmanagement oder in der Beratung. Anders als bei klassischer Leiharbeit erfolgt keine physische Eingliederung in den Betrieb des Entleihers. Der Arbeitsplatz bleibt im Ausland und die Kommunikation läuft über digitale Kanäle wie E-Mail, Videokonferenzen oder Kollaborationstools.

Rechtlich basiert die Beschäftigung über einen EoR maßgeblich auf dem sogenannten „Territorialprinzip“, welches dem AÜG zugrunde liegt. Hiernach findet das AÜG grundsätzlich nur Anwendung, wenn ein relevanter Inlandsbezug besteht, der insbesondere bei körperlicher Präsenz in Deutschland sowie einer physischen Eingliederung in einen deutschen Betrieb angenommen wird. Erfolgt die Arbeitsleistung hingegen ausschließlich remote aus dem Ausland, sprechen gute Gründe dafür, einen solchen Inlandsbezug zu verneinen. Wird diese Sichtweise zugrunde gelegt, eröffnet das EoR-Modell die Möglichkeit einer Beschäftigung von Fremdpersonal ohne die typischen Einschränkungen der klassischen Arbeitnehmerüberlassung, etwa die im AÜG vorgesehene Notwendigkeit einer Verleiherlaubnis oder die zeitliche Begrenzung der Überlassung auf 18 Monate.

Wichtig: Innerhalb von Deutschland verstößt das EoR-Modell – unabhängig von den Weisungen der Bundesagentur für Arbeit – gegen das AÜG und Provider und Kunde setzen sich im Inland dessen Sanktionen (Bußgeld, Strafbarkeit, entstehendes Arbeitsverhältnis) aus.

Fachliche Weisungen der Agentur für Arbeit: Die Änderung von Oktober 2024

Bis zum Herbst 2024 enthielten die fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit keine ausdrückliche Position zur Beschäftigung von Arbeitnehmern über einen EoR. Dies änderte sich mit der Weisungsfassung vom 15. Oktober 2024, die für erhebliche Verunsicherung in der unternehmerischen Praxis sorgte. Die Bundesagentur für Arbeit weitete darin den Anwendungsbereich des AÜG aus und stellte klar, dass auch rein virtuelle Tätigkeiten aus dem Ausland unter bestimmten Umständen als [...]

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Das Ende des Bonusjahres naht – Zielvorgaben 2026 nicht vergessen!

Es ist wieder soweit: Zum Ende eines jeden Geschäftsjahres stehen nicht nur die strategische Planung für das kommende Geschäftsjahr, sondern auch die Zielvereinbarungen bzw. einseitige Zielvorgaben für etwaige Bonuszahlungen der Mitarbeiter wieder auf der Agenda. Die rechtzeitige Vereinbarung bzw. einseitige Vorgabe von Zielen für Bonuszahlungen ist keine bloße Formalität, sondern eine arbeitsvertragliche (Neben-)Pflicht für Arbeitgeber. Bei Nachsichtigkeiten, Verzögerungen oder Versäumnissen riskieren Unternehmen nicht nur, den eigentlichen Zweck der Ziele – nämlich die Mitarbeitermotivation im Sinne einer übergreifenden Unternehmensstrategie – zu konterkarieren, sondern verursachen auch Schadenersatzforderungen der betroffenen Mitarbeiter.

Es ist zwischen einer zweiseitigen Zielvereinbarung und einer einseitigen Zielvorgabe durch das Unternehmen zu unterscheiden, die vom Arbeitgeber nun kurz vor Beginn des neuen Geschäftsjahres Unterschiedliches abfordern. Welche in einem konkreten Fall einschlägig ist, bestimmt sich nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen.

Zweiseitige Zielvereinbarungen

Gilt für den Bonusberechtigung eine Zielvereinbarung, müssen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam über Art, Gewichtung, Umfang und Zeitpunkt der zu erreichende Ziele einigen. Zielvereinbarungen sind für den Arbeitgeber aufwendiger und ressourcenintensiver, da es hier einer Kooperation und letztendlich auch Zustimmung des Arbeitnehmers zu den Zielen bedarf.

Unterlässt – d.h. vergisst – es der Arbeitgeber die Gespräche zur Zielvereinbarung zu initiieren oder initiiert er diese zu spät, und kommt eine Zielvereinbarung deswegen nicht zustande, kann der Arbeitnehmer Schadensersatz in Form des vollen Bonus verlangen.

Ein etwaiges Mitverschulden des Arbeitnehmers kann die Schadenersatzpflicht des Arbeitgebers in der Theorie zwar mildern, praktisch sind diese Fälle allerdings zu vernachlässigen. Ein Mitverschulden des Arbeitnehmers setzt nämlich voraus, dass im Arbeitsvertrag die Initiativlast für das Führen von Zielvereinbarungsgesprächen nicht eindeutig dem Arbeitgeber auferlegt wird. Selbst bei beidseitigem Verschulden wird der Anspruch zwar anteilig gekürzt, allerdings nimmt das BAG regelmäßig ein Mitverschulden des Arbeitnehmers von ca. 10 % an. Letztendlich trägt der Arbeitgeber das Risiko einer unterbliebenen Zielvereinbarung quasi alleine. Haftungsrisiko für den Arbeitgeber birgt auch die Variante, in der es Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht gelingt, sich (rechtzeitig oder überhaupt) auf Ziele zu einigen.
Für den Arbeitgeber beherrsch- und damit berechenbarer ist deswegen die – insgesamt vorzugswürdige – Zielvorgabe.

Einseitige Zielvorgaben durch den Arbeitgeber

Gilt für die Bonusberechtigung eine Zielvorgabe, so kann diese vom Arbeitgeber – ohne Mitwirkungen des Arbeitnehmers – einseitig getroffen werden. Dem Arbeitgeber wird gemäß § 315 Abs.1 BGB ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht zugesprochen. Unterlässt der Arbeitgeber die Zielvorgabe oder erfolgt diese verspätet, kann dem Arbeitnehmer in der Regel kein Mitverschulden angelastet werden. Denn die Festlegung der Ziele obliegt ausschließlich dem Arbeitgeber.

Somit schlummert auch hier ein Haftungsrisiko: Erst zu Beginn des Jahres hatte das BAG (19. Februar 2025 – 10 AZR 57/24) erklärt, auf Seiten des Arbeitgebers liege eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht rechtzeitig für eine Zielperiode Ziele vorgibt, an deren Erreichung die Zahlung einer variablen Vergütung in Form eines Bonus geknüpft ist (Zielvorgabe). Kann eine nachträgliche Zielvorgabe ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen, führt diese Pflichtverletzung dazu, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Schadensersatz in Höhe von 100% des Bonus schuldet.

In seiner Entscheidung nannte das Gericht keinen konkreten Zeitpunkt, bis wann der Arbeitgeber die Ziele vorgegeben haben [...]

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Beziehungen im Job: Wann Beziehungen am Arbeitsplatz erlaubt sind

Ob ein Flirt in der Kaffeeküche oder eine romantische Beziehung zu einem Teammitglied: Zwischenmenschliche Verbindungen im Job sind keine Seltenheit. Fast jeder zweite Deutsche hatte bereits eine Romanze am Arbeitsplatz. Doch wie viel Privatsphäre ist erlaubt – und wo beginnt die Verantwortung von HR und Führungskräften?

Im Interview mit Markt und Mittelstand erklärt Dr. Thomas Gennert, warum Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz rechtlich meist Privatsache sind – und wann sie doch zum Problem werden können.

Hier gelangen Sie zum Interview.




Ver­fall­regel ver­stößt gegen Treu und Glauben

In vielen Start-ups erhalten Mitarbeitende neben ihrem Gehalt auch virtuelle Unternehmensbeteiligungen – sogenannte virtuelle Optionen. Diese sollen als Anreiz dienen, langfristig im Unternehmen zu bleiben und am wirtschaftlichen Erfolg teilzuhaben. Doch was passiert mit diesen Rechten, wenn Mitarbeitende selbst kündigen? Das Bundesarbeitsgericht hat nun überraschend geurteilt – mit weitreichenden Folgen für Start-ups und andere Unternehmen mit Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen.

Was das für Unternehmen und deren Vertragsgestaltung bedeutet, lesen Sie im Artikel von Dr. Thomas Gennert und Athanasia Eleftheriadou auf Legal Tribune Online (LTO).

Hier gelangen Sie zum vollständigen Artikel.




Certified AI Practitioner Hands-On-Zertifikatslehrgang

Ihr Unternehmen verwendet KI-Systeme? Oder entwickelt eigene?

Dann gilt Ihr Unternehmen höchstwahrscheinlich als Anbieter/Betreiber im Sinne des EU AI Acts. Bereits seit Februar 2025 müssen Sie sicherstellen, dass Ihr Team über eine ausreichende KI-Kompetenz verfügt!

Die Lösung

Unser Zertifikatslehrgang zeichnet sich durch eine einzigartige Kombination aus anwendungsorientierter Wissenschaft und Erfahrung aus der Praxis aus. Er ist auf die Anforderungen des AI Acts sowie weiterer relevanter Gesetze und Verordnungen zugeschnitten.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden sowohl in den technischen als auch rechtlichen Grundlagen geschult und können in Ihrem Unternehmen für nötige Compliance-Strukturen sorgen.

Kursinhalte & Abschluss

Unsere Experten bilden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in insgesamt über zwölf Stunden zu zertifizierten „AI Practitioners“ aus, die über die geforderte KI-Kompetenz verfügen.

Modul 1: Grundlagen und Technik

  • Grundlagen zur KI (Ansätze, Einsatzgebiete, Gefahren)
  • Generative KI (Überblick, Funktionsweise, Blick hinter die Kulissen)
  • RAG-Systeme (Arbeit in Kleingruppen)
  • KI-Projekte (Beispiele KMU, Vorgehen, Vorbehalte und Risiken)
  • Persönliche KI-Tools

Modul 2: Recht

  • Überblick: KI & Recht
  • KI-Verordnung (“AI Act”)
  • Datenschutzrecht (DSGVO)
  • Urheberrecht, Produkthaftungsrecht
  • Arbeitsrechtliche Aspekte des KI-Einsatzes
  • Praxisfälle im Unternehmen
  • Einführung fremdentwickelter KI-Tools
  • (Weiter-)Entwicklung eigener KI-Tools
  • Aufbau von Compliance-Organisationen

Hier können Sie sich anmelden.




Arbeitsrechtliche Elemente im Koalitionsvertrag

Gestern haben sich die Spitzen von CDU/CSU und SPD auf den Abschluss eines Koalitionsvertrages geeinigt. Dieser muss nun noch von den jeweiligen Parteigremien abgesegnet werden, bevor er unterzeichnet werden kann. Wir haben die wichtigsten arbeitsrechtlichen Themen herausgefiltert und kommentiert.

  1. Mindestlohn von 15 EUR

Im Jahr 2026 soll „ein Mindestlohn von 15 Euro […] erreichbar“ sein. Hierbei handelt es sich nur um einen Wunsch, denn gleichzeitig betonen die zukünftigen Koalitionäre, dass sie an „einer starken und unabhängigen Mindestlohnkommission“ festhalten wollen. Über die Anpassung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns entscheidet nach der Konzeption des MiLoG alle zwei Jahre eine unabhängige Kommission der Tarifpartner, die sich aus Vertretern der Arbeitgeberverbände sowie den Gewerkschaften zusammensetzt und außerdem von Wissenschaftlern beraten wird. Dies ist damit eine Absage an rein gesetzliche Erhöhungen des Mindestlohns, die die Ampel in 2022 (auf 12 EUR) letztlich entgegen der gesetzlichen Systematik auf den Weg gebracht hat.

  1. Höherer Grad der Tarifbindung

Weiteres Ziel soll eine „höhere Tarifbindung“ sein, so dass „Tariflöhne […] wieder die Regel werden und […] nicht die Ausnahme bleiben“. Hierbei soll ein Bundestariftreuegesetz helfen, das für Auftragsvergaben auf Bundesebene ab EUR 50.000 Euro (und für Startups mit innovativen Leistungen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung ab 100.000 Euro) eine Tarifbindung voraussetzt.

  1. Flexibilität bei der ARbeitszeit

Zur Erhöhung der Flexibilität der Arbeitswelt („auch und gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf“) soll im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstelle einer täglichen Höchstarbeitszeit geschaffen werden. Dieser Punkt ist sehr interessant und könnte in der Tat ein großes Maß an Flexibilität schaffen. „Zur konkreten Ausgestaltung“ soll es allerdings zunächst einen „Dialog mit den Sozialpartnern“ geben. Ob dies dann bedeutet, dass die Flexibilisierungen nur für tarifgebundene Unternehmen gelten (ganz im Einklang mit dem Ziel unter Ziffer 2) und damit an den stark kritisierten Entwurf für die Anpassung des Arbeitszeitgesetzes aus dem BMAS aus 2023 angeknüpft wird, bleibt abzuwarten.

Darüber hinaus soll „die Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten unbürokratisch“ geregelt werden und „dabei für kleine und mittlere Unternehmen angemessene Übergangsregeln“ vorgesehen werden. Diese Formulierung spricht vor allem nicht dafür, dass kleine und mittlere Unternehmen beim Thema Arbeitszeiterfassung gänzlich mit einer Ausnahmeregelung rechnen können. Interessant ist aber das Bekenntnis der Verhandler, dass die „Vertrauensarbeitszeit […] ohne Zeiterfassung im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie möglich“ bleiben soll. Vor dem Hintergrund der bekannten höchstrichterlichen nationalen und unionsrechtlichen Argumentation zu diesem Thema ist es höchst interessant, wie diese Absicht rechtlich (und rechtssicher) umgesetzt werden soll. Würde dann der Wortlaut des Koalitionsvertrages tatsächlich gelten, dürften wir bundesweit die Renaissance der Vertrauensarbeitszeitregelungen erleben. Wehrmutstropfen könnte dann hier wieder die Absicht aus Ziffer 2 sein und dies möglichweise nur für tarifgebundene Arbeitgeber gelten.

  1. Mehrarbeit, Überstunden & „Vollzeit-Prämien“

Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich vereinbarte beziehungsweise an Tarifverträgen orientierte Vollzeitarbeit hinausgehen“ sollen „steuerfrei gestellt“ werden. Als Vollzeitarbeit soll dabei für tarifliche Regelungen eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden, für nicht tariflich festgelegte oder vereinbarte Arbeitszeiten von 40 Stunden gelten (wieder eine Referenz [...]

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Gerichtliche „Anpassung nach oben“ verletzt Tarifautonomie

Dürfen die Arbeitsgerichte die zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vereinbarten Tarifverträge korrigieren? Diese Frage hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 11. Dezember 2024 zu Recht verneint.

Das BVerfG hat zwei Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aufgehoben, die eine solche „Korrektur nach oben“ vorgenommen hatten. Den Urteilen lag jeweils folgender Sachverhalt zugrunde: Nachtschichtarbeiter von CocaCola sowie einer Hamburger Brauerei verklagten ihre Arbeitgeber, um höhere Zuschläge zu erhalten. In den Tarifverträgen der Unternehmen wurden Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit unterschiedlich behandelt. Die Tarifverträge sahen für Nachtarbeit einen Zuschlag von 50% vor, während Nachtschichtarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer einen Zuschlag in Höhe von 25 % erhielten. Das BAG sah in dieser Regelung einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. Es stellte sich auf den Standpunkt, dass eine gleichheitswidrige Schlechterbehandlung von Nachtschichtarbeitnehmerinnen und – arbeitnehmern gegenüber solchen Arbeitnehmern vorliege, die außerhalb von Schichtsystemen Nachtarbeit leisten. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung läge nicht vor, weshalb eine rückwirkende Erhöhung der Zuschläge für Nachtschichtarbeit anzuordnen sei.

Das BVerfG sieht in den Entscheidungen des BAGs eine Verletzung der beschwerdeführenden Arbeitgeberinnen in ihre Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG). Die Auslegung des BAGs, dass eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes dazu führe, dass die tariflichen Zuschlagsregelungen für Nachtarbeit sowohl für Nachtarbeit als auch für Nachtschichtarbeit Anwendung fänden („Anpassung nach oben“), berücksichtigt die – ebenfalls durch das GG geschützte – Koalitionsfreiheit nicht in verfassungsrechtlich zutreffender Weise. Karlsruhe erkennt zwar an, dass die in kollektiver Privatautonomie handelnden Tarifvertragsparteien bei der Tarifnormsetzung den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG beachten müssen. Dennoch habe das BAG bei der Prüfung der Tarifverträge die Bedeutung der Tarifautonomie aus Art. 9 Abs. 3 GG weder in seiner Reichweite noch in Bezug auf die Folgen seiner Verletzung ausreichend beachtet.

Das BVerfG betont den weiten Gestaltungsspielraum, den die Tarifautonomie den Tarifparteien bei der Regelung von Arbeitsbedingungen zuweise. Die gerichtliche Überprüfung sei daher darauf begrenzt, diesen Spielraum nur bei willkürlichen Differenzierungen einzuschränken. Die unterschiedliche Behandlung von Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit bewege sich noch in den Tarifparteien zugewiesenen Gestaltungsspielraum, da die unterschiedliche Behandlung dadurch sachlich zu rechtfertigen sei, dass diese auf unterschiedlichen sozialen Belastungen und der Planbarkeit der Arbeitszeiten beruhe. Diese Zwecksetzungen seien laut dem ersten Senat vom grundrechtlich geschützten Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien erfasst.

Zudem sei Teil der zwingend zu beachtenden Tarifautonomie auch die Auswahl der Mittel, um etwaige Gleichheitssatzverstöße zu korrigieren. Sobald mehr als ein Weg in Betracht komme, um eine unzulässige Ungleichbehandlung zu korrigieren, ist es Aufgabe der Tarifpartner, die Art der Korrektur auszuwählen. Es ist daher den Gerichten in diesen Fällen nicht erlaubt, anstelle der Tarifpartner selbst anzuordnen, wie die Ungleichbehandlung zu beseitigen ist, wie es das BAG mit der „Anpassung nach oben“ in den entschiedenen Fällen getan hatte. Die Fälle wurden zur neuen Entscheidung nach Erfurt zurückverwiesen.




EuGH zur Zukunft der (Datenschutz-)Betriebsvereinbarungen: Was ändert sich?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat festgestellt, dass Kollektivvereinbarungen (wie bspw. Betriebsvereinbarungen) nur dann eine rechtliche Grundlage für die Verarbeitung von Beschäftigtendaten darstellen können, wenn sie strenge Kriterien erfüllen. Wir stellen Ihnen die EuGH-Entscheidung vom 19. Dezember 2024 (Aktenzeichen C-65/23) im Folgenden genauer dar.

Warum ist das wichtig?

Das Urteil betrifft eine der großen Fragen im Beschäftigtendatenschutz der letzten Jahre: Nach Art. 88 DSGVO, § 26 Abs. 4 können personenbezogene Daten von Beschäftigten auch auf Grundlage von Kollektivvereinbarungen (z.B. Betriebsvereinbarungen) verarbeitet werden. Unklar war bisher jedoch, ob und ggf. welcher Spielraum den Betriebsparteien bei der Gestaltung der Betriebsvereinbarung (und damit der Verarbeitung personenbezogener Daten) zusteht. Kann relativ frei auf spezifische Besonderheiten des Unternehmens eingegangen werden oder ist lediglich eine Konkretisierung der DSGVO-Vorschriften möglich, sodas der Handlungsspielraum der Betriebsparteien bei Erstellung von Betriebsvereinbarungen nur sehr begrenzt wäre?

Was sagt der EuGH?

Betriebsvereinbarungen sollen keine Umgehung der Verpflichtungen des Verantwortlichen oder gar des Auftragsverarbeiters bezwecken oder bewirken können. Anderenfalls wäre das Ziel der DSGVO, ein hohes Schutzniveau für die Beschäftigten im Fall der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten im Beschäftigungskontext sicherzustellen, beeinträchtigt. Daraus folgt für den EuGH:

  • Ja, Betriebsvereinbarungen und Kollektivvereinbarungen können eine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten darstellen.
  • Es ist ein „Ja, aber“, denn: Der Spielraum ist sehr begrenzt, auch Betriebsvereinbarungen, so der EuGH, müssen die allgemeinen Anforderungen der Art. 5, Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 9 Abs. 1, 2 der DSGVO erfüllen. Das bedeutet u.a., dass immer auch eine allgemeine Rechtsgrundlage nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 DSGVO gegeben sein muss.
  • Insbesondere gilt dies auch für die Einhaltung des Kriteriums der Erforderlichkeit der Verarbeitung. Betriebsparteien haben einen eng umgrenzten Verhandlungsspielraum. Betriebsvereinbarungen dürfen gerade nicht dazu führen, dass die Voraussetzung der Erforderlichkeit weniger streng angewandt wird oder gar darauf verzichtet wird.
  • Allerdings: Die Betriebsparteien kennen ihren Betrieb, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren Aufgaben sowie die spezifischen Herausforderungen, die sich im Unternehmen stellen. Sie verfügen also über eine grundsätzlich gute Expertise für die Beurteilung, ob eine Verarbeitung von Beschäftigtendaten in einem konkreten beruflichen Kontext „erforderlich“ im Sinne der DSGVO ist. Insoweit besteht allerdings auch eine umfassende gerichtliche Kontrolle, um die Einhaltung aller Voraussetzungen und Grenzen der DSGVO zu gewährleisten.

Was sollten Sie jetzt beachten?

Klar ist jetzt: Betriebsvereinbarungen sind für sich genommen keine eigenständige Rechtsgrundlage. Sie können stets nur zusammen mit einer der Rechtsgrundlagen des Art. 6 Abs. 1 S. 1 DSGVO die Verarbeitung von Beschäftigtendaten regeln. Daher sollte bei Neuverhandlungen und Überarbeitungen von (bestehenden) Betriebsvereinbarungen immer ausdrücklich aufgenommen werden, welche DSGVO-Rechtsgrundlage die Betriebsparteien für anwendbar halten. Aufgrund des Urteils des EuGH ist auch die Erforderlichkeit der Verarbeitung von Beschäftigtendaten kritisch zu hinterfragen. Die Erwägungen der Betriebsparteien, weshalb sie die Verarbeitung für erforderlich halten, sollten sich ebenfalls in der Betriebsvereinbarung wiederfinden.

Schließlich sollte auch die „Bürokratie“ rund um die Betriebsvereinbarung nicht vergessen werden. Sofern a) in den Datenschutzinformationen für Beschäftigte und b) im Verarbeitungsverzeichnis bisher allein die Betriebsvereinbarung als Rechtsgrundlage genannt ist, muss dies konsequenterweise um die zusätzliche allgemeine DSGVO-Rechtsgrundlage (z.B. Begründung, Durchführung oder Beendigung eines Arbeitsvertrages oder Wahrung berechtigter Interessen) [...]

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Kein digitales Zugangsrecht – Gewerkschaft scheitert mit Klage gegen Adidas

Spätestens seit der Corona-Pandemie erfreut sich das Home-Office großer Beliebtheit: Rund ein Viertel aller Erwerbstätigen in Deutschland arbeitet zumindest teilweise aus dem Home-Office. Doch während das mobile Arbeiten sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber eine Reihe von Vorteilen mit sich bringt, stellt es die – ohnehin über Mitgliederschwund klagenden – Gewerkschaften vor zunehmende Herausforderungen: Potenzielle Gewerkschaftsmitglieder, die von zu Hause aus arbeiten und nicht physisch auf dem Betriebsgelände erscheinen, sind schlicht schwieriger zu erreichen als ihre Kollegen, die täglich zur Arbeitsstätte pendeln und von den Gewerkschaften auf dem Firmenparkplatz angeworben werden können.

Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) nahm genau diese Herausforderung nun zum Anlass, von Adidas die Herausgabe der dienstlichen E-Mail-Adressen seiner Mitarbeitenden, Zugang zum konzernweiten sozialen Netzwerk Viva Engage sowie die Verlinkung ihrer Homepage auf der Startseite des Intranets des Sportartikelherstellers zu verlangen. In einer in der vergangenen Woche ergangenen Entscheidung erteilte das Bundesarbeitsgericht den Gewerkschaftsforderungen und damit einem „digitalen Zugangsrecht“ jedoch eine Absage.

In seiner Entscheidung (BAG, Urt. v. 28.01.2025, Az. 1 AZR 33/24) stellte der erste Senat um die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Inken Gallner klar, dass Arbeitgeber weder hinsichtlich bereits beschäftigter Arbeitnehmer noch hinsichtlich neu hinzukommender Arbeitnehmer dazu verpflichtet seien, dienstliche E-Mail-Adressen zum Zwecke der Mitgliederwerbung an die jeweils tarifzuständige Gewerkschaft herauszugeben. Zwar gewährleiste die in Art. 9 Abs. 3 GG normierte Koalitionsfreiheit die grundsätzliche Befugnis von Gewerkschaften, betriebliche E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer zu Werbezwecken und für deren Information zu nutzen, allerdings resultiere daraus keine Verpflichtung von Arbeitgebern, die Mitgliederwerbung durch Übermittlung der E-Mail-Adressen selbst aktiv zu unterstützen. Neben den insofern betroffenen konkurrierenden Grundrechten des Arbeitgebers aus Art. 14 GG sowie Art. 12 Abs. 1 GG und der verfassungsrechtlich garantierten wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit seien die ebenfalls berührten Grundrechte der betroffenen Arbeitnehmer aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu berücksichtigen und mit der Koalitionsfreiheit abzuwägen. Die von der Gewerkschaft erhobene Forderung bringe die betroffenen Rechte dabei nicht in einen angemessenen Ausgleich.

Auch mit ihren Anträgen auf Zugang zum konzerninternen sozialen Netzwerk und eine Verlinkung der Gewerkschafts-Homepage auf der Startseite des firmeneigenen Intranets scheiterte die Gewerkschaft. Die damit einhergehenden Beeinträchtigungen des Arbeitgebers übersteigen dem Bundesarbeitsgericht zufolge das durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Interesse der Gewerkschaft an der Durchführung solcher Werbemaßnahmen. Insbesondere die Forderung nach Verlinkung im firmeneigenen Intranet finde aktuell keine Grundlage im Gesetz und könne mangels planwidriger Regelungslücke im Betriebsverfassungsgesetz auch nicht auf § 9 Abs. 3 S. 2 BPersVG gestützt werden.

Ob der Gesetzgeber vor dem Hintergrund dieser Entscheidung tätig wird und mit der ausdrücklichen Normierung eines elektronischen Zugangsrechts auf den Wandel der Arbeitswelt reagiert, bleibt abzuwarten. Bis dahin bleibt den Gewerkschaften lediglich, auf klassischem Wege um Nachwuchs zu werben oder – wie das Bundesarbeitsgericht betont – potenzielle Mitglieder vor Ort im Betrieb nach ihrer dienstlichen E-Mail-Adresse zu fragen. Betroffene Unternehmen können bei vergleichbaren Gewerkschaftsanfragen hingegen – jedenfalls vorerst – getrost auf die Rechtsprechung aus Erfurt verweisen.




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